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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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hier nicht wegwollen.«
    »Das ist doch leicht zu verstehen. Hier ist mein Zuhause. Ich lebe hier. Ich lerne aus Büchern. Meine Schulsachen liegen drüben im Wohnzimmer. Ich komme zurecht, Herr Kommissar.«
    »Sie waren acht Monate lang eine Gefangene, Linda.«
    Eine Zeitlang schwieg sie, rieb ihr Kinn auf der Bettdecke, wandte den Kopf ab. »Nur am Anfang«, sagte sie dann wieder. »Ich hab geahnt, daß er zurückkommen und mich holen würde.«
    »Sie kannten den Mann?«
    »Wir haben uns in der Silvesternacht im Luitpoldpark getroffen.«
    Fischer mußte an Schells Worte denken und verlor für einen Moment die Konzentration. Er stand immer noch im Zimmer, die Hände in den Manteltaschen. Er sollte das Mädchen endlich mitnehmen, dachte er, raus aus dem Verlies, und sie zu ihren Eltern bringen.
    Statt dessen setzte er sich auf die Bettkante.
    »Ist Ihnen nicht zu warm?« sagte Linda.
    »Nein.« Er hatte längst angefangen zu schwitzen. »Und wo haben Sie sich wiedergetroffen?«
    »Am ersten Schultag. Er hat auf mich gewartet.«
    »Hat er Ihnen das gesagt?«
    »Er sagte, er war zu Besuch bei einem Freund, der in der Nähe wohnt und einen Unfall hatte. Aber das hab ich nicht geglaubt. Arthur ist ein lausiger Lügner. Spätestens, wenn er was getrunken hat, gibt er seine Geheimnisse alle preis.«
    »Sind Sie in sein Auto gestiegen?«
    Auch die vage Aussage einer alten Frau, die ihren Hund Gassi geführt hatte und in der Hiltenspergerstraße eine Schülerin beobachtet haben wollte, die in ein Auto gestiegen sei und auf die die Beschreibung eventuell passen könnte, hatte ihre Ermittlungen nicht vorangebracht. Und nun schienen die Fenster wie bei einem starken Windstoß wie von selber aufzugehen.
    »Er hat mich gefesselt«, sagte Linda. »Und geschlagen. Er spielte den Entführer, er hatte alles vorbereitet. Er hat mir sogar den Mund verklebt, wie im Fernsehen. Dafür habe ich ihm später eine Ohrfeige gegeben. Volldepp, wie Arthur zu sagen pflegt.«
    »Erinnern Sie sich an die erste Nacht in dieser Wohnung?«
    »Ja.«
    »Wollen Sie nicht darüber sprechen?«
    »Nein.«
    »Dann müssen Sie ein andermal darüber sprechen.«
    »Bestimmt nicht.« Sie seufzte, und es klang nicht schwermütig, eher wie nach einem Kind, das einen schönen Gedanken hat.
    »Meine Kollegen werden Ihnen nicht glauben, daß Sie freiwillig hiergeblieben sind.«
    Wie ein Kind strahlte sie ihn an und klatschte in die Hände.
    »Aber das spielt doch gar keine Rolle. Mir glaubt seit hundert Jahren niemand. Die denken, was ich sage, das ist alles Görenmist. Was so eine eben so labert. Das sagen die Richtigen. Das sagen genau die, die nie in ihrem eigenen Leben ankommen werden, sondern ihr verkehrtes so lange weiterleben, bis sie ins Grab fallen, und dann ist sogar ihr Tod verkehrt. Weil es ja gar nicht ihr eigener ist. Und weil sie zu feige sind, sich rechtzeitig umzubringen, tricksen sie sich lieber aus und spielen ihre Rollen und nehmen sich wichtig.«
    Mit großen Augen sah sie ihn an, mit geröteten Wangen und einem frohen Gesichtsausdruck.
    »Es geht Ihnen also gut«, sagte Fischer.
    »Mir geht es gar nicht, hören Sie mir nicht zu? Solange Sie hier sind, bin ich im Stillstand, ich tu nur so, als würde ich mit Ihnen reden. In Wirklichkeit bin ich stumm, das kriegen Sie nicht mit, ich hab Ihnen ja meine Stimme dagelassen. Aber ich bin nicht da. Ich lieg immer noch in der Badewanne und räkele mich und überlege mir, ob ich eine vegetarische Pizza oder doch besser eine Quattro stagioni auftauen soll, die schmeckt nach was und ist würzig. Arthur mag die auch lieber. Wir sind beide keine Gesundheitsfreaks. Möchten Sie einen Kartoffelchip? Sind nur mit Salz, kein Paprika.«
    »Nein«, sagte Fischer. »Und später haben Sie freiwillig mit dem Mann geschlafen.«
    »Sie dürfen ihn Arthur nennen. Ja, aus freien Stücken. Das hat ihn ziemlich geschlaucht, und es hat auch keinen Spaß gemacht. Er war ein echter Rüpel, das hab ich ihm auch ins Gesicht gesagt, mitten drin. Er hat sich dann bemüht. Wurde nicht viel besser. Irgendwann haben wir es noch einmal versucht, das war irgendwie lockerer, aber auch nicht prickelnd. Als er zu mir gesagt hat, er hätte sich schon gedacht, daß ich keine Jungfrau mehr wär, hat er mein Knie zu spüren gekriegt, da, wo’s weh tut. Er hat geheult, der Arme. Tat mir dann wieder fast leid. Was der für ein verkehrtes Leben geführt hat all die Jahre. Und da wollte er raus. Deswegen haben wir uns in der Silvesternacht

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