Hinter deiner Tür - Aktionspreis (German Edition)
lassen!“, schrie sie ihn an. Ich sah ihn nur noch um die
Ecke verschwinden. Seine Begleitung im Schlepptau. Eine tolle
Frau. Schnell schloss ich meine Augen.
Minuten später saß ich, noch völlig benommen, in einem
Taxi. Danke, Tina!
Was hatte das Schicksal noch mit mir vor? Mein Leben
kam mir vor wie eine Fahrt in der Achterbahn. Erst zog es mich
ganz langsam hoch. Oben verweilte ich viel zu kurz, dann ging
es rasant wieder herunter. Immer wieder. Ich war zu klein für
den Sitz und wurde von links nach rechts geschleudert. Konnte
nicht bremsen, den Verlauf nicht beeinflussen. Nicht aussteigen.
Nur ich konnte meine Schreie hören.
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6
Thilo ging um den gedeckten Tisch herum und verschob
hier und da ein Messer oder eine Gabel einige Millimeter. Er
hielt jedes Weinglas gegen das einfallende Licht und überprüfte
es auf Fingerabdrücke. Die bereits gefalteten und dekorierten
Servietten zupfte er zurecht. Dann begann er wieder von vorne
am Kopf der Festtafel. In Kürze würden seine Verwandten und
die vollbusigen Freundinnen seiner Mutter eintrudeln, um ihren
fünfundfünfzigsten Geburtstag zu feiern.
Familienfeste erinnerten ihn immer daran, wie sehr ihm
sein Vater fehlte.
Es war kurz nach Thilos achtem Geburtstag geschehen.
Sein Vater verunglückte mit dem Auto auf der vereisten Straße.
Eigentlich hatte Thilo ihn zum Fußballspiel im Münchner
Olympia-Stadion begleiten sollen, aber er war krank gewesen.
Hohes Fieber hatte ihn vor dem sicheren Tod bewahrt.
Nein, er durfte jetzt nicht wieder daran denken! Aber das
freundliche Gesicht seines Vaters, als dieser sich damals
verabschiedet hatte, ließ sich nicht beiseiteschieben.
„Machs, gut, mein Großer. Wir sehen uns morgen früh!“
Er hatte ihm die kühle Hand auf die heiße Stirn gelegt.
Noch immer erinnerte sich Thilo an die Stimme seines Vaters.
Seitdem war er mit seiner Mutter allein gewesen, und
seitdem hasste er Geburtstage. Wenn die Verwandten kamen und
über seinen Vater sprachen. Er konnte die Freundinnen seiner
Mutter noch vor sich sehen, wie sie ihn fast mit ihren riesigen
Brüsten erdrückten, sobald sie ihn begrüßten und „Du bist aber
ein großer Junge geworden“ säuselten.
Nun, dazu war er mittlerweile zu groß, und seinen Sohn
würde er vor diesen Weibern zu schützen wissen. Thilo musste
schmunzeln, als er an seinen bereits schlafenden Sohn dachte.
Der Kleine konnte sich wehren. In seiner eigenen Kindheit war
vieles anders gewesen. Der kleine Thilo hatte jedem die Hand
zur Begrüßung geben müssen, auch falls er nicht gewollt hatte.
Ja, die Erziehungsmethoden haben sich geändert, erkannte er,
während er seiner Mutter beim Anrichten des Buffets half. Heute
durften Kinder viel mehr selbst entscheiden. Er lächelte.
Auf dem Sideboard reihten sich verschiedene Salate,
warmer Schweine- und Rinderbraten und verschiedene kalte und
bunte Saucen aneinander.
„Thilo, du wirst doch nach dem Essen nicht gleich wieder
verschwinden!“, ermahnte ihn seine Mutter.
„Nein, Mutter. Es ist schließlich dein Geburtstag.“ Wohin
sollte er auch gehen? Dies war sein Elternhaus und er war wieder
eingezogen.
Seit sie zusammen das Essen vorbereiteten, verhielt seine
Mutter sich aufgeregt wie ein kleines Mädchen, dachte er gerade
noch, als es an der Tür klingelte.
Nach und nach füllte sich das große Esszimmer. Es wurde
immer lauter. Onkel Klaus richtete ihm aus, dass Thilos Cousine
Melissa daheimgeblieben sei. Die einzige Person, auf die Thilo
sich gefreut hatte! Er überspielte seinen Unmut, indem er den
Gästen Getränke eingoss.
„Junge, ich hätte dich beinahe nicht wieder erkannt. Groß
bist du geworden.“
Beate Becker stand plötzlich vor ihm. Sie trug die gleiche
dauergewellte Kurzhaar-Frisur wie früher. „Mensch, wie lange
ist das her, Till?“, fragte sie und klopfte ihm freundschaftlich auf
die Schulter.
„Seid ihr weggezogen seid. Ich heiße Thilo.“ Früher hatte
sie ihn Till gerufen.
„Ich habe eine Überraschung für dich, mein Junge. Schau,
wen ich mitgebracht habe!“ Beate zwinkerte Thilos Mutter
verschwörerisch zu. Als die Schwergewichtige den Weg räumte,
kam hinter ihr eine junge Frau zum Vorschein. Er schätzte sie
auf ungefähr dreißig Jahre. Sie sah sehr hübsch aus mit ihrem
roten Pferdeschwanz und den vielen Sommersprossen. Irgendwie
erinnerte die Frau ihn an seine Schulfreundin ...
„Johanna!“
„Hallo Thilo.“
„Na, wie
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