Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
wieder Fisch? Se-ehr originell! Und hier?«
Während er die Tangbündel aufriss und ihren Inhalt wortreich kommentierte, fiel sein Blick auf den Tabakbeutel, der ein wenig abseits lag. Er nahm ihn, steckte seine Hakennase hinein und nieste plötzlich wie ein Elefant.
»Tabak, mich laust der Affe! Echter Tabak!«
Der Mann im Kittel führte einen regelrechten Freudentanz auf und wiegte den wertvollen Beutel wie ein Baby in den Händen. Dann zog er einen Notizblock aus der Brusttasche, riss ein Blatt heraus, hockte sich neben dem Beutel auf den Boden und begann, ungeduldig eine Zigarette zu drehen.
Taran hielt die Kälte nicht länger aus und schwang sich mit einem Ruck auf den Beckenrand.
Dem Brillenträger fiel vor Schreck die Zigarette aus der Hand. Strampelnd robbte er in eine Ecke des Raums und beobachtete von dort entsetzt, wie kurz nach dem ersten Besucher ein Monster mit grüner Haut aus dem Wasser stieg, das nur aus Muskeln zu bestehen schien.
»Wer seid ihr?«, stammelte der Unbekannte.
»Du bist ja wohl der Unterirdische?«, stellte Taran die Gegenfrage. »Über unser Mitbringsel hast du dich gefreut, wie ich sehe.«
Der Wicht starrte abwechselnd den misslaunig schnaubenden Mutanten, den kahl geschorenen Hünen mit dem stechenden Blick und den am Boden liegenden Tabaksbeutel mit dem kostbaren Machorka an. Letztlich obsiegte die Neugier über die Angst.
»Gehört ihr etwa zusammen?«, fragte er argwöhnisch.
Gennadi nickte und fletschte die Zähne zu einem schauderhaften Grinsen, was den Unbekannten nur noch mehr verschreckte.
»Das ist Dym, und ich heiße Taran«, verkündete der Stalker.
»Na und ich bin dann wohl der Unterirdische. Die ›Kaulquappen‹ haben mich so genannt, nicht wahr? Hm … Unterirdischer … Gar nicht so übel! Der Name gefällt mir.«
Zum ersten Mal kicherte der Schmutzfink schüchtern, und die Situation entspannte sich allmählich.
Es stellte sich heraus, dass der Herr des Tempels nicht nur ein freundlicher Mann, sondern sogar Wissenschaftler war. Dieser Umstand ließ die Stalker natürlich mutmaßen, was die Zweckbestimmung des unterirdischen Komplexes sein konnte. Das Alter ihres neuen Bekannten war schwer zu schätzen, vor allem wegen des verfilzten langen Haars, das er sich ständig aus dem Gesicht pustete.
Als Erstes drehte der Unterirdische ein paar Runden um Gennadi. Dabei fuchtelte er mit den Armen und blökte Ahs und Ohs, als bewunderte er einen Weihnachtsbaum. Gennadis Gendefekte weckten sein professionelles Interesse, und er hätte wohl noch lange über die Gründe dieser »äußerst bemerkenswerten« Mutation spekuliert, wenn Taran nicht diskret gehüstelt hätte, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Werter Herr, wir wüssten trotz allem zu gern, was es mit diesem Ort hier auf sich hat und warum die Tritonen ihn für heilig halten.«
Der Wicht schaute den Stalker an, als sähe er ihn zum ersten Mal, stutzte kurz und wies dann zuvorkommend zur Tür.
»Entschuldigen Sie meine Taktlosigkeit«, flötete er und rümpfte drollig die Nase. »Wissen Sie, ich bin in den letzten Jahren etwas schusselig geworden. Ich hätte Sie natürlich gleich hereinbitten sollen. Kommen Sie, verehrte Gäste! Unterwegs werde ich Ihnen über mein wenig spektakuläres Leben berichten und gern Ihre Fragen beantworten.«
Die Geschichte des »Götzen« der Kiemenmenschen war mitnichten so unspektakulär wie angekündigt. Tarans Vermutung, dass der unterirdische Komplex zur Infrastruktur des Fernöstlichen Zentrums zur Entsorgung radioaktiver Abfälle gehörte, bestätigte sich zu hundert Prozent.
Alles hatte schon lange vor der Katastrophe begonnen, als man in dem hochgradig verstrahlten Lager zufällig auf Leben stieß, nämlich auf eine Kolonie von Bakterien, die in der Lage waren, superschwere Elemente in sich anzureichern. Mit der Erforschung dieses Phänomens – in der Wissenschaft als Biosorption von Radionukliden durch Mikroorganismen bekannt – hatte man sich bereits in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts intensiv beschäftigt. Doch zu einem Quantensprung bei diesen Studien kam es erst dank einer Verkettung von Zufällen, die unvorhersehbare Folgen hatten …
Am Stützpunkt des Fernöstlichen Zentrums hatte man eilig ein Forschungslager errichtet – als Zweigstelle eines Labors des Verteidigungsministeriums in Noginsk 23, in dem Experimente auf dem Gebiet der Strahlenresistenz durchgeführt wurden. Die Forscher hatten zunächst kaum Fortschritte erzielt, bis
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