Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Gleb kategorisch. »Es ist besser, wenn sie nichts von unserer Expedition erfahren.«
Aurora dachte über die Worte ihres Freundes nach. Seine Entscheidung schien im ersten Moment absurd. Schließlich hatte er doch immer davon geträumt, bewohnbares Land zu finden! Und jetzt …
»Also deshalb hast du Taran nichts von der Siedlung erzählt.« Aurora warf einen Blick auf ihr Dosimeter, nahm ebenfalls die Gasmaske ab und ließ die eisige, mit dem Geruch des Meeres getränkte Luft in ihre Lungen strömen. »Möchtest du ihre Existenz vor allen geheim halten?«
»Ja.« Der Junge starrte auf das Lichtermeer hinunter. »Solange der Ekranoplan funktioniert, wäre eine Evakuierung aus Sankt Petersburg nicht völlig unrealistisch. Die Treibstoffbeschaffung ist ein lösbares Problem. Aber wir dürfen die Rechnung nicht ohne die Veganer machen. Die sind zu allem fähig. Vielleicht haben sie in der Zwischenzeit die ganze Metro unterworfen und plündern jetzt die Siedlungen anderer Überlebender, genau wie die Steppenhunde.«
»Und wenn es umgekehrt ist?«, gab das Mädchen zu bedenken. »Wenn die ›Grünen‹ die frei werdenden Stationen besiedeln und sich damit zufriedengeben? Wenn eine Umsiedelung der Primorski-Allianz das Ende des Kriegs bedeuten würde?«
»Wenn …«, wiederholte Gleb nachdenklich. »Ich fürchte, wir haben kein Recht, uns auf ein solches ›wenn‹ zu verlassen. Du weißt ja, wie es ausgegangen ist, als man in Piter von der Existenz der Insel Moschtschny erfuhr … Ich möchte nicht, dass sich etwas Derartiges hier wiederholt. Wenigstens in diesem Dorf soll das Leben weitergehen.«
Immer wieder machten Sturmböen Anstalten, die beiden menschlichen Figuren fortzuwehen, die mit ihrer Anwesenheit die raue Schönheit der felsigen Landzunge störten. Doch die Kinder rührten sich nicht vom Fleck. Sie konnten sich nicht sattsehen am Anblick dieser kleinen, heilen Welt. Auch wenn sie mit einer gewissen Wehmut hinunterschauten, denn eines war nun klar: Diese Welt würde niemals die ihre sein.
»Du bist also bereit, auf deinen Traum zu verzichten …«, durchbrach das Mädchen das Schweigen. »Sag, Gleb, warum sind wir dann hier?«
»Ich wollte mich davon überzeugen, dass die Siedlung tatsächlich existiert. Ich … muss wissen, dass wenn … wenn wir mit diesem Alpheios nichts erreichen, dass …«
»… dass dann wenigstens jemand anders die Chance hat, noch mal von vorn zu beginnen«, vervollständigte Aurora den Satz und fasste den Jungen schüchtern an der Hand.
»Versprichst du mir, dass du niemandem erzählst, was du hier gesehen hast?«
Gleb umschloss die Hand des Mädchens fest mit der seinen. Ihre Blicke trafen sich. Auroras Augen sagten alles, noch bevor sie zu sprechen begann.
»Ich schwöre es. Aber was sagen wir Migalytsch? Meinst du, er nimmt uns ab, dass wir nichts gefunden haben?«
»Wenn nicht, dann wird er so tun als ob. Löchern wird er uns auf keinen Fall. Ich habe ihn schließlich gebeten, keine Fragen zu stellen.«
»Dann müssen wir uns jetzt beeilen.« Aurora löste dezent ihre Hand und zog sich die Gasmaske über. »Wir müssen wieder da sein, bevor Taran zurückkommt.«
»Ja, höchste Zeit.« Gleb erwachte gleichsam aus einer Erstarrung. Sein Blick ruhte immer noch auf dem Dorf der U-Boot-Fahrer und dem stromlinienförmigen Rumpf des Stahlungeheuers, das am Pier vor sich hindämmerte. »Ich schau nur noch ganz kurz, zum Abschied …«
21
DAS OPFER
Der Unbekannte pfiff eine einfache Melodie, aber so falsch, dass es einem die Zehennägel aufbog. Das Echo, das die schrägen Noten an den Wänden hin und her warf, machte die ohnehin absurde Situation endgültig zur Farce. Die zwanglose musikalische Stümperei stand im krassen Widerspruch zu dem kultisch-religiösen Brimborium, das die Tritonen vor wenigen Minuten veranstaltet hatten.
Als sich quietschend die Tür öffnete und ein langhaariger Wicht in einem vergilbten, verwaschenen und löchrigen Arztkittel tänzelnden Schrittes den Raum betrat, dachte Taran im ersten Moment, die Unterkühlung sei schuld an der Halluzination. Doch der seltsame Typ, auf dessen Nase eine Brille mit gesprungenen Gläsern saß, war genauso real wie der erbärmliche Gestank, den sein ungewaschener Körper ausdünstete.
Unentwegt pfeifend hüpfte er auf den Gittersteg und begann, geschäftig in den »Gaben« der Tritonen zu stöbern.
»Was haben wir denn heute Schönes?«, schnatterte der Unbekannte, als er mit dem Pfeifen fertig war. »Schon
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