Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
Vom Netzwerk:
Fall vor dem netten alten Mann in dem schönen Haus die Asoziale sein, die Typen mitbringt, die seine Enkelin befummeln.
    »Lilly, sei doch nicht immer so prüde.«
    »Ich bin nicht prüde, du notgeiles Schwein.« Ich war plötzlich supersauer.
    »Doch, bist du!« Michaels Stimmbruchstimme. »Sagen alle!«
    Ich sah Cyrus böse an.
    »Was siehst du mich so böse an? Ich hab nichts gesagt.«
    Ich wollte gehen. Ich hatte plötzlich keine Lust mehr auf die endlosen, schweinischen Anspielungen und Wortspielereien. Mir ging die allgegenwärtige Notgeilheit tierisch auf die Nerven.
    Die Jungs waren mit dem Motorrad da, ein ganzer Fuhrpark aus gelben, roten und grünen Maschinen stand im Garten. Keiner stellte sein Bike auf der Straße ab, es würde sofort geklaut werden. Ich hatte meinen Vater mehrmals gefragt, ob er mir eine von den kleinen grünen 80 er Suzuki-Maschinen kaufte, klein und süß und genau richtig für mich. Er hat jedes Mal ja gesagt.
    Und als ich dann endlich zum Motorradladen wollte, hatte meine Mutter ein so unfassbares Kreischkonzert angefangen, dass mein Vater mich entschuldigend ansah und wir seitdem das Wort »Motor« zu Hause nicht mehr in den Mund nahmen.
    Meine Mutter schrie nur: »Ein Mädchen fährt doch nicht Motorrad, du spinnst wohl, und dein Vater ist auch verrückt geworden.«
    Das gab es natürlich nicht. Kein Mädchen auf unserer Schule fuhr Motorrad, und in der Welt außerhalb der Schule sowieso nicht. Man sah nur Männer auf Motorrädern, zu zweit, zu dritt, zu viert, ohne Helm, die Haare im Wind, wie sie den Mädchen dreckige Sachen zuriefen und sich freuten, wenn sie verschreckt zusammenzuckten oder beschämt auf den Boden sahen.
    Ich war verbittert. Ich hatte kein Motorrad und sollte mir stattdessen im Pool die Brüste massieren und dabei stöhnen, um den Arschlöchern, die ein Motorrad hatten, noch mehr Freude zu bereiten.
    Ich ging, ohne ein Wort zu sagen, zum Telefon und rief mir ein Taxi.
    Cyrus hörte, wie ich telefonierte, und rief:»Komm, ich fahr dich nach Hause!«
    Alle Mädchen wollten nichts anderes, als auf einem Motorrad nach Hause gefahren zu werden.
    »Schieb dir dein Motorrad in den Arsch«, sagte ich, nahm meine Badesachen, winkte allen zum Abschied und stellte mich zwischen ein paar enorm stinkenden, von Hunden aufgerissenen Mülltüten auf die Straße und wartete auf das Taxi.
    Cyrus stand im offenen Tor und rief mir noch ein »Bitarbiat« hinterher.
    Der Taxifahrer glotzte mir so unverschämt auf mein Trägershirt und die nackten Schultern, dass ich nicht wusste, was jetzt schlimmer war, einsteigen oder nicht.
    Also riss ich die verbeulte hintere Tür des Peykan auf, ließ mich auf den heißen, dunkelbraunen Kunstlederrücksitz fallen und sagte dem Fahrer, wo ich wohnte.
    Er freute sich über die lange Fahrt, musterte mich noch mal mit seinen kleinen dunklen Augen, umrandet von großen braunen Augenringen, im Heckspiegel, obwohl er tatsächlich eine halbe Moschee in seinem Heckfenster aufgebaut hatte. Ich ließ mich superschlecht gelaunt den weiten Weg nach Hause fahren. Kein iranischer Taxifahrer würde es wagen, mit einem jungen Mädchen in seinem Wagen einfach ein Gespräch zu beginnen. Einer der wenigen Vorteile in diesem Land, dachte ich.

    Keinen eigenen fahrbaren Untersatz zu haben, machte mich mittlerweile ziemlich fertig. Früher fuhr keiner meiner Schulfreunde Motorrad, und ich konnte es akzeptieren, nichts zu fahren. Aber dass jetzt sogar die dümmsten Jungs genau das hatten, was mir am meisten fehlte, nämlich Freiheit und ein motorisiertes Spielzeug, schmerzte mich fast körperlich. Die anderen Mädchen hatten alle dieses Problem nicht. Sie wollten kein Motorrad, sie waren glücklich, wenn sie die Auserwählte waren, die mitfahren durfte. Aber mitfahren zu dürfen, fand ich noch schlimmer, als allein mit dem Taxi zu fahren. Mich jederzeit in meinem eigenen Gefährt fortbewegen zu können, hatte mir schon als kleines Kind das Gefühl von Stärke und Freiheit gegeben. Und ich fühlte mich unabhängig, sofort losfahren und verschwinden zu können, war einfach unerlässlich für ein gutes Lebensgefühl. In Deutschland hatte mir mein Vater die Stützräder abmontiert, als ich vier war. Er war sehr stolz, weil ich noch so klein war, und ich sehe auf Fotos auf meinem winzigen Kinderrad sehr glücklich aus. Später kamen noch ein Kettcar und ein Roller dazu. Ich konnte also, bevor wir nach Teheran zogen, jeden Tag frei entscheiden, womit und wo ich heute

Weitere Kostenlose Bücher