Hinter dem Mond
vorfahren wollte. Und jetzt hatte ich nichts, ich musste immer meiner Mutter sagen, wann ich wo sein würde, und mich fahren lassen, entweder von einem Fahrer oder von ihr. Es beengte und deprimierte mich immer wieder aufs Neue.
Carolas Mutter hatte mir ihr unbenutztes Fahrrad geschenkt, als sie nach Kapstadt gingen, weil man dort wohl noch weniger Fahrrad fahren konnte als bei uns. Ich hatte das Rad jetzt vor kurzem bei Sonja im Keller deponiert und sie dafür begeistert, dass wir in Gholhak, wo meine Schule war, mit dem Rad herumfuhren. Meistens fuhr ich, und sie saß hinten auf dem Gepäckträger und schrie laut. In den Seitenstraßen war nicht so viel Verkehr, und die anderen wohnten auch nicht allzu weit. Wenn ich nach der Schule zu Sonja ging, fuhren wir später mit dem Rad zu einem anderen Mädchen, das meistens zu nah für ein Taxi und zu weit weg wohnte, um zu Fuß zu gehen. Dee war zum Glück alles recht, was wir machten, und es gab kein anderes persisches Mädchen, das sich so viel auf den Straßen rumtreiben konnte wie Sonja und ich. Einmal waren Sonja und ich bei Doris, und als wir abends zurück wollten, war mein Rad völlig platt und ließ sich nicht aufpumpen, ich war über Scherben gefahren. Doris’Eltern waren beide Lehrer an unserer Schule und redeten immer über die politische Lage im Land, und was es für neue Gesetze und Verbote gab. Wir hatten von nichts eine Ahnung und schauten nur blöd. Ich wunderte mich, dass Doris als Deutsche mehr wusste als ich und sich auch mehr dafür interessierte. Jedenfalls fuhr ich an dem Nachmittag mit meinem engen Jeansrock auf dem Herrenrad von Doris’ älterem Bruder zu Sonja zurück, die kreischende Sonja mit wehenden, langen, braunen Haaren auf dem Gepäckträger. Mein Rock hatte sich komplett hochgeschoben, da ich ja die Stange zwischen den Beinen hatte. Jeder Mann, der mir entgegenkam, musste beim Anblick meiner nackten Beine, die mühsam in die Pedale traten, bremsen, und alle riefen mir aus dem Auto etwas Schweinisches zu. Ein Suzuki Van überholte uns, hielt an, und der Fahrer stieg wütend aus. Er schrie und beschimpfte uns, dass wir Dreck seien und Schmutz in den Iran bringen würden und nicht die Straße in einen Puff verwandeln sollten, indem wir unsere Geschlechtsorgane den Männern feilbieten würden. Er sagte nicht Geschlechtsorgane, er sagte Kos , was ein Schimpfwort dafür ist, also Fotze. Ich hielt an, Sonja sprang ab und schrie ihn an: »Boro gomscho olaagh!« (Verpiss dich, Idiot)
Und wir rannten beide los, das große Rad schob ich neben mir her, der Typ war uns auf den Fersen, aber wir verschwanden durch Sonjas Tor, knallten es zu und lauerten noch ewig dahinter, ob er klingeln würde, um den Bewohnern des Hauses, also Dee und der Batschi, mitzuteilen dass sich zwei Huren in diesem Haus verstecken würden. Er schaute noch etwas belämmert, dann stieg er in seinen dreckigen Van und fuhr davon.
»Was hatte der denn?« Sonja war entsetzt und begeistert zugleich.
»Keine Ahnung.«
Sonja fand es lustig: »Aggressiv wegen zu großer Notgeilheit, würde ich sagen … zu Hause wartet seine Nanne, seine Mutter, mit Kopftuch.«
Später traf ich meine Mutter an der Schule, die den Nachmittag bei Pouri war und mich mitnehmen konnte. Ich wollte gerade in ihr Auto steigen, da sah ich einen anderen R5, aber in Rot. Am Steuer saß Cyrus. Ich konnte es nicht fassen! Jetzt fuhr der auch noch Auto, und ich musste mich von einem Analphabeten im Van vom Rad jagen lassen.
»Mama! Schau mal! Da vorne fährt der blöde Cyrus im Renault seiner Mutter!«
Zu meiner Überraschung sagte meine Mutter:
»Willst du auch fahren? Dann setz dich her.«
Sie stieg einfach aus, kam auf die Beifahrerseite und öffnete die Tür.
Ich rutschte rüber. Der Motor lief.
»Jetzt drückst du die Kupplung, genau, legst den ersten Gang ein, genau, und gibst langsam Gas und gehst dabei gleichzeitig von der Kupplung runter … vorsichtig … losfahren …«
Der Wagen heulte auf, dann ruckelte er etwas und fuhr los!
Kaum war ich einige Meter gefahren, schrie sie:
»Jetzt in den zweiten Gang, Kupplung drücken, vom Gas runter, Gang nach unten, und wieder Gas geben und runter von der Kupplung!«
Ich war begeistert, nach ein paar Metern musste ich in den dritten Gang schalten, es ging sogar ohne das jaulende Geräusch. Jetzt kannte ich den Trick: Man musste die Kupplung immer weniger drücken und gleichzeitig das Gas immer mehr und gleichzeitig schalten.
»Fahr doch zu Charles
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