Hinter dem Mond
vorbei. Diesmal war es schon Ende August, als sie aufbrachen, und Sonja fragte mich, ob ich nicht einfach mitkommen wollte, Dee hätte es vorgeschlagen. Sie hätten dort ein Boot und ein Surfbrett und sie würde mir Surfen und Wasserski beibringen. Meine Eltern waren immer noch abgelenkt, hatten somit nichts dagegen und mussten nicht überredet werden. So fuhren wir mit dem gelben R5, den damals wohl alle Mütter in Teheran fuhren – mit Dee am Steuer, die schlecht gelaunte Sarah daneben und Sonja und ich mit den beiden Kleinen auf dem Schoß auf dem Rücksitz –, durch die Berge nach Schomal, wie die Küste des Kaspi hieß. Der Wagen war bis oben vollgepackt mit Pampers und Dosen aller Art. Dee hatte das Essen der nächsten Wochen in Konserven dabei, obwohl wir ja ans Meer fuhren, wo es frischen Fisch, fette, freilebende Hühner, Schafherden und hellbraune Rinder, die sich von saftigen Wiesen ernährten statt von Melonenschalen, und viel mehr frisches Grünzeug und tolles Obst als in Teheran gab. Der Markt in Rasht war jedenfalls immer ein Riesenspektakel für mich gewesen.
Sonjas Villa war zwar nicht in Rasht, sondern in Shahsawar, aber auch da kauften die Menschen alles frisch auf dem Markt. Supermärkte gab es damals im Iran, auf dem Land überhaupt nicht. Nur kleine Krämerläden und schreiende Markthändler.
Aber Dee vertraute eben nur auf Essen, das aus einer Büchse und aus Amerika kam.
Die Villa stand in so einem bewachten Villendorf, wie es meine Eltern hassten. Sie fanden es schrecklich, mit so vielen Nachbarn auf einem Gelände eingesperrt zu sein, weil sie wussten, wie neugierig und geschwätzig Perser sind und dass dann alle alles über sie wüssten, als ob meine Eltern ein schlimmes, geheimes Leben zu verbergen hätten. Aber meine Mutter wollte eben nicht, dass der notgeile Nachbar sie im Bikini sah, was ein durchaus erfreulicher Anblick war. Deshalb hatte mein Vater ein großes Grundstück direkt am Meer gekauft, wo sie eigentlich eine große Villa bauen wollten, sie hatten auch versprochen, dass mein Geschmack beim Bau und bei der Inneneinrichtung berücksichtigt werden sollte, und ich hatte schon eine Menge Bilder von Supervillen in Südfrankreich aus Magazinen herausgerissen und ihnen als Inspiration gezeigt, aber durch das ganze Chaos seit der Revolution waren alle Baupläne auf Eis gelegt.
Mir reichte Sonjas kleines Haus in dem künstlichen Dorf. Es war eine richtige kleine Stadt, mit Straßen, Laternen, Kreuzungen und einem kleinen Laden, wo es das Nötigste, wie zum Beispiel Wassermelonen, Zigaretten oder die beliebten Plastikeimer mit dem zu sauren Joghurt drin und der dicken Haut drauf, gab. Dazwischen standen die kleinen, neugebauten Häuser mit Gärten, und vorne an einer Schranke war ein Häuschen, wo ein Mann den ganzen Tag allein bei fünfundvierzig Grad saß und darauf aufpasste, dass niemand hineinfuhr, der nicht hineingehörte.
Das Haus war höchstens fünfzig Meter vom Meer entfernt, ganz hübsch, aber überhaupt nicht richtig eingerichtet, es standen nur ein paar komische Möbel drin, die nicht zusammenpassten. Dee legte anscheinend keinen Wert auf Wohnlichkeit.
In der Garage stand zu meiner Verwunderung außer einem gigantischen Surfbrett und einem zusammengerollten Segel ein kleiner, neuer, hübscher roter Trecker.
»Wieso habt ihr einen Trecker?«
»Um das Boot aus dem Wasser zu ziehen.«
»Wo ist denn das Boot?«
Sie deutete auf den Strand, auf dem auf einem Gestell ein ziemlich großes, weißes Motorboot lag. Ich war noch nie mit so etwas gefahren und völlig begeistert.
»Super! Kannst du damit fahren?«
»Offiziell nicht. Aber Dee kann. Ich darf auf dem Meer etwas fahren, aber das Ding ins Wasser bring ich nicht.«
Dann wuchteten wir gemeinsam das weiße Board ins Wasser. Sonja montierte das riesige gelb-rote Segel an das Brett.
»Hast du auf so was schon mal gestanden?«
»Nö.«
»Dann los! Du musst dich hier draufstellen, dann das Seil mit ausgestreckten Armen hochziehen! Es ist superwichtig, dass deine Arme ausgestreckt bleiben. Dann ziehst du es langsam Stück für Stück nach oben.«
»Wie soll ich mich denn draufstellen?«
»Na los, rauf mit dir, setz dich drauf, dann stellst du dich einfach hin, geht doch … ja, nein … haaaaalt! Mund zu!«
Abends lag ich flach und matt in einer Sofa-Ecke und gab keinen Ton von mir. Mir tat alles weh, und mein rechter Oberarm hatte sich einfach von meinem restlichen Körper abgemeldet. Ich spürte ihn
Weitere Kostenlose Bücher