Hinter dem Mond
jedenfalls nicht mehr.
Ich weiß nicht, wie oft ich an diesem Tag das Segel schon halb hochgezogen und dann das Gleichgewicht verloren hatte und nach hinten ins Wasser geklatscht war. Ich hatte aufgehört zu zählen und darüber nachzudenken. Ich hasste Surfen, aber Sonja wollte nicht aufgeben, bevor sie mich auf dem Brett stehen sah, das Segel elegant in den Händen, als wäre es eine Ballettstange.
Ich war so am Ende, dass mir sogar die blassen Hot Dogs, die Dee aus einer Dose auf den Tisch zauberte, zusammen mit den soften, leicht süßlichen Brötchen mit Ketchup und Mayo köstlich schmeckten und ich sogar noch ein paar rosa Marshmallows zum Dessert aß, bevor ich neben Sonja im Bett das Bewusstsein verlor.
Aber am nächsten Nachmittag setzte sich Dee auf den süßen kleinen Trecker und zog das weiße Boot damit ins Wasser, kletterte behände an Bord und ließ Sonja, die nebenher geschwommen war, den Trecker wieder zurück an Land fahren. Ich war beeindruckt.
»Los, wir fahren Wasserski!«
Mir wurde im Boot eine Gummiweste angezogen und Wasserski an die Füße geschnallt, dann sollte ich damit über Bord springen und die beiden Seile in die Hände nehmen, wie ein Embryo im Wasser liegen, aufpassen, dass ich nicht von der Schraube zerhackt wurde, und warten, bis Dee so weit vorgefahren war, dass sich das Seil langsam straffte. Und dann sollte ich mich langsam erheben, um auf dem Wasser, hinter dem Boot stehend, gezogen zu werden. Super-easy, fanden Sonja und Dee. Sarah war mit dem Baby im Haus geblieben.
Wir probierten es ungefähr dreißig Mal. Dee hatte eine unendliche Geduld, denn jedes Mal, wenn ich das Seil losließ, musste sie wieder ganz langsam an mich heranfahren, damit ich erneut danach greifen konnte. Ich hatte wahnsinnigen Respekt vor der Bootsschraube, weil ich einen Film gesehen hatte, wo ein Verbrecher hineingeriet und danach völlig zerstückelt im blutroten Wasser trieb. Sobald sie etwas Gas gab und ich mich leicht aus dem Wasser erhob, überschlug ich mich schon oder ließ das Seil los und flog schräg in die Luft, die Skier flogen mir von den Füßen, das Seil peitschte gegen mein Gesicht, und ich trank Unmengen von salzigem Meerwasser. Als mir dann noch ein Ski vom Fuß in die Luft und danach gegen meine Schläfe flog, fing ich an zu schreien:
»Stop! Let me stop! I hate waterskiing! Please let me stooop, Deeeee, stooop!«
Ich kroch an Bord und sagte, ich hasste Wasserski und sie sollten mich in Ruhe lassen, sonst fing ich an zu heulen. Mir tat alles weh und mir war übel von dem vielen Meerwasser.
An Bord zog sich Sonja die Wasserski über und sprang ins Wasser. Kaum gab Dee Gas, stand Sonja senkrecht hinter uns, fröhlich winkend, zwischen ihr und uns eine doppelte weiße Schaumspur. Dee gab noch mehr Gas, und wir flogen über das Meer, hinter uns Sonja, die Kunststückchen machte. Mal fuhr sie auf einem Bein, mal hielt sie einen Arm über den Kopf wie eine Ballerina. Als wir anhielten, um uns ein wenig zu sonnen und zu schwimmen, wurde mir kotzübel.
»Du musst ins Wasser springen, dann ist es weg.« Sonja zeigte auf das tiefblaue Meer. Wir waren ziemlich weit von der Küste entfernt. Im Kaspischen Meer gab es zwar keine Haie, aber jede Menge anderer Fische. Störe zum Beispiel.
»Es ist hier ganz tief …«
»Mann, stell dich nicht so an, du bist echt furchtbar … spring jetzt …«
Ich sprang. Das Wasser war bis zum Bauch warm und wurde an den Füßen kalt. Ich versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken, was unter mir wohl so los war. Die Übelkeit war jedenfalls sofort weg, aber die Angst, von einer fremden, starken Hand nach unten in die Tiefe gezogen zu werden, war fast noch unerträglicher. Ich hatte einmal ein Filmplakat gesehen, auf dem eine Frau im Meer schwamm und von einer Hand superfies nach unten gezogen wurde. Der Film hieß »The Deep«.
Ich hatte Angst vor dem Meer, wenn es unter mir kalt und dunkel wurde, und ich hatte auch Angst auf dem Boot, wenn es mit dieser irren Geschwindigkeit über das Wasser flog. Und Sonja machte mir auch Angst. Es war ein ganz neues Gefühl, mich als Schisser kennenzulernen. Die Seite kannte ich nicht an mir.
Ich war eben eine Poolnixe, kein Tiefsee-Typ.
Und anscheinend fehlte mir mit dem Sport-Gen auch das Wassersport-Gen.
Meine Schmerzen waren nicht mehr zu lokalisieren, ich stöhnte bei jeder Bewegung auf und wollte mich vorerst an Land vergnügen.
»Wollen wir jetzt nicht etwas mit dem Renault fahren?«, fragte ich
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