Hinter dem Mond
ich wenigstens nicht durch die Tatsache, dass ich eine scheußliche Uniform tragen musste und er nicht, als der schwächere Part auftreten musste.
Möglichst gelangweilt und teilnahmslos und ohne nach rechts und links zu schauen schlenderte ich mit den Mädchen zu meinem Bus. Mir klopfte das Herz bis zum Hals, wie blöd von mir zu glauben, dass wir jetzt miteinander reden und flirten würden. Ich war doch vollkommen verrückt, es würde gar nichts passieren, und ich würde nachher wieder anrufen. Es würde für immer eine Telefon-Beziehung bleiben, und er würde in echt nichts mit mir zu tun haben wollen.
»Hallo!« Ich zuckte zusammen und drehte mich um.
Da stand er. Groß und schön und rehbraun in einer wunderschönen dunkelbraunen Lederjacke. Dasselbe Braun wie seine Haare und seine Haut. Er hatte diese Farbe für sich gepachtet, die eines schönen Pferdes oder einer perfekten Kastanie, er hatte glänzendes Fell und sah sehr essbar aus.
»Salam«, sagte er noch mal und lachte, als wären wir ganz normale Menschen, die sich einfach nett begrüßten.
»Salam«, sagte ich und wurde rot. Mein Kopf wurde jedenfalls ganz heiß. Uncool.
Die Mädchen gingen kichernd ein Stück weg.
»Wie geht’s?« Er sprach Deutsch.
»Ganz gut.« Ich wusste nicht, wo ich hinsehen sollte, deshalb zog ich meine Ärmel ganz lang über die Hände und zeichnete mit meinen Adidas einen Kreis auf dem Boden.
»Ich hab dir etwas mitgebracht.« Er griff in die Seitentasche seiner Lederjacke und holte eine Kassettenhülle heraus. »Hier, hab ich gestern aufgenommen.«
Ich glotzte auf die Kassette und griff danach.
»Danke«, flüsterte ich vollkommen benebelt.
Die Busse hatten ihre Motoren gestartet, die Mädchen waren schon eingestiegen, und die Busfahrer brüllten »Sawar schin, yallah yallah«, alle einsteigen.
Wir standen uns vollkommen gelassen gegenüber, so, als würde es um uns herum nicht nach Diesel stinken und die Busfahrer herumbrüllen, sondern als stünden wir auf einer saftigen Frühlingswiese, wo man Vogelgezwitscher und etwas Blätterrauschen hörte.
»Dann, dann bis später …« Ich ging ein paar Schritte zurück, drehte mich um und stieg schnell in meinen Bus.
Ich warf mich auf den Sitz, überhörte den mich laut anmotzenden Busfahrer, der sofort losfuhr, und dachte nur: Ich liebe ihn, ich liebe ihn, ich liebe ihn, und presste die Kassette an mich. Als ich daran schnupperte, roch sie wundervoll nach Männerparfüm. Dann klappte ich die Hülle auf, es war eine BASF 90, und auf dem Etikett stand in schnörkeliger Schrift: Für Lilly.
Zu Hause ging ich oben gleich in mein Zimmer und schob die Kassette in den Kassettenrekorder auf meinem Schreibtisch, schloss die Tür, drehte laut und setzte mich direkt davor auf meinen grünen Schreibtischstuhl, um nichts zu verpassen.
Das erste Lied war »Roxanne« von Police.
Meine Mutter kam rein.
»Was ist mit dir? Willst du nicht Mittag essen?«
Ich drehte leiser und schüttelte den Kopf.
»Kein Hunger«, sagte ich knapp und schaute genervt, damit sie wieder ging. Ihre Anwesenheit versaute die Stimmung.
»Was hast du in der Schule gegessen?«, bohrte sie.
»Nichts.«
»Warum hast du dann keinen Hunger?«
Ich drückte auf Pause. »Weil ich keinen Hunger habe heute, jetzt. Später.«
»Hast du Maschgh?« Maschgh sind Hausaufgaben.
»Nein, Mama, natürlich nicht. Dass du mich das immer noch fragst. Ich habe keine Hausaufgaben, nie, weißt du doch.«
»Was soll das? Wann kommt Chanume Panahi morgen?«
»Nach der Schule mit zu uns … kotz.«
»Was soll ich kochen?«
»Mach doch zwei schicke Brathühner«, antwortete ich hilfsbereit, »und jetzt lass mich bitte diese wichtige Kassette hören, ja?«
»Was ist daran so wichtig?«, fragte sie geringschätzig.
Aber sie ging endlich, und ich ließ die Kassette weiter laufen.
Das nächste war »What You’re Proposing« von Status Quo. Jungsmusik, dachte ich. Dann kam »Brass in Pocket« von den Pretenders, dann »Video Killed the Radio Star« und dann David Bowie, »Ashes to Ashes«. Als Blondie irgendwann anfing, »Sunday Girl« zu trällern, war ich verloren.
Ich würde ihn heiraten und für immer mit ihm zusammenbleiben. Was für eine tolle Musik, was für ein toller Junge. Mein Junge.
Es war etwas komisch für mich, jetzt nicht mehr zu sagen, hier ist Susi, kann ich bitte mit Ramin sprechen. Sondern: Hier ist Lilly, ist Ramin da?
Ich musste jetzt immer, wenn ich Lilly sagte, blöd kichern, so als wär das
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