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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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telefonierten eine halbe Stunde, dann hörte ich, wie meine Mutter immer wieder Menschen zur Tür brachte. Irgendwann flog meine Tür auf und sie fiel wie ein feuerspeiender Drache in mein Zimmer ein.
    Die dunklen Augen des Drachen waren kugelrund und funkelten gefährlich. Der Drache bäumte sich auf und öffnete seinen gigantischen Rachen, aus dem ein großer Schwall Dampf und lavaartige Masse hervorquoll.
    Die glühenden Blitze aus den Augen des Drachen verfolgten die schwarze Schnur, die vom Telefonapparat zur Wand fiel, er stürzte sich darauf und riss mit unglaublicher Gewalt die Telefonschnur in die Luft. Der schwere schwarze Apparat flog durch die Luft, mit dem Stecker an der Schnur baumelnd, und krachte splitternd gegen meine gelbe Wand. Das Telefon flog in Einzelteilen durch mein Zimmer. Ich starrte sprachlos hinterher.
    Dann wollte sie sich schreiend auf mich stürzen:
    »Dein Vater liegt nebenan im Sterben, und du machst hier Telefonsex …« Da erblickte sie das Foto von Ramin. Ich hatte es auf meinen Schreibtisch gestellt und an einen der Metallbehälter, wo meine Stifte drin waren, gelehnt. So konnte ich ihm die ganze Zeit in die Augen schauen, während ich mit ihm telefonierte.
    Meine Mutter griff blitzschnell danach, riss es aus der Hülle und zerpflückte es innerhalb von Sekunden. Die kleinen grauen Schnipsel ließ sie auf meinen Kelim rieseln.
    Sie drehte sich, fast erleichtert, zu mir um und sagte mit verächtlichem Blick:
    »Du bist ein Stück Dreck. Selbst wenn dein Vater stirbt, kannst du nicht auf deine Hurerei verzichten. Das Einzige, was dich interessiert, ist, dass sich immer einer auf dich legt … und du hältst dich deswegen auch noch für besonders hübsch, aber du irrst, die legen sich auf dich, weil du sie lässt, was würdest du erst tun, wenn du …«
    Ich hörte nicht mehr, was sie sonst noch sagte. Ich sah die grauen Schnipsel auf dem Boden. In einem Fetzen sah ich eins seiner Augen, in einem anderen sein Ohrläppchen.

    An diesem Tag spürte ich ganz genau, wie etwas in mir starb, es verschrumpelte in mir, wurde immer weniger, und nach ein paar Minuten war es tot. Ich weiß nicht, was es war, aber ich spürte das langsame Sterben von irgendetwas ganz tief in mir, während ich zusah, wie die Frau, die meine Mutter war, mit einer unglaublichen Kraft dieses Bild von dem einzigen Menschen, den ich liebte, vernichtete.
    Und das, was in diesem Moment an diesem Tag im Mai 1981 in Teheran in mir starb, wurde auch nicht mehr lebendig und kehrte nie wieder zu mir zurück. Es war weg, für immer.

    Die Endjahresprüfungen gingen eine Woche lang, jeden Tag wurde ein anderes Fach geprüft. Es gab während der Woche für uns keinen Unterricht. Wir mussten in eine andere Schule, wo wir mit lauter fremden Mädchen zusammen in einen großen Saal gesetzt wurden.
    Alle außer mir waren sehr aufgeregt, einige bissen sich die Fingernägel blutig und hatten ihre normale Stimme verloren. Sie kreischten nur noch voller Angst und ekelten mich an.
    Nach der Prüfung wurden die meisten sofort von ihren Müttern abgeholt und nach Hause gebracht, damit sie weiterlernen konnten für die nächste Prüfung.
    Mich fuhr unser Fahrer hin und zurück. Nach einem kurzen Mittagessen kam schon die Lehrerin, bei der ich am nächsten Tag geprüft wurde, und wir versuchten die Fragen aus ihr herauszuquetschen. Die Physik- und Mathelehrerin hatte uns tatsächlich die Fragen am Tag vorher lösen lassen. Nur die Chemielehrerin hatte ganz andere Aufgaben als die, die wir mit ihr geübt hatten. Meine Mutter war außer sich.
    Als die letzte Prüfung geschrieben war, lud ich Ramin an einem Nachmittag zu mir nach Hause ein.
    Meine Mutter war nicht mehr sie selbst vor Freundlichkeit, ich traute meinen Augen kaum. Sie begrüßte Ramin nett und tat so, als wäre sie eine ganz normale Mutter, die sich freut, dass ihre geliebte Tochter ihren Freund mit nach Hause bringt und als würde sie sich für die Freunde ihrer Tochter interessieren. Wir sollten uns doch in eine der Sitzgruppen in der Halle setzen und sie würde uns Kuchen und Obst bringen und ob Ramin Tee trinken wollte. Und dann mit einem Seitenblick zu mir:
    »Lilly wird ja übel von Tee.«
    Ramin war natürlich viel zu höflich, sagte, dass er Tee mochte, und wollte sich schon auf einem der gestreiften grünweißen Seidensofas niederlassen, als ich an ihm zog und »Hey, nicht hier. Komm mit« zischte.
    Wir gingen in mein Zimmer, ich schloss die Tür und setzte mich mit Mr

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