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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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sich gehörte, und nicht so eine arrogante Nervensäge wie meine, die entweder meine Freunde ignorierte oder mich vor ihnen durch den Kakao zog. Und sie fragte mich nicht aus, was ich super fand.
    Was ich jedoch komisch fand, war, dass es Ghorme Sabzi zum Essen gab. Eine deutsche Frau, die einen Berg Kräuter putzte, um daraus ein urpersisches Mittagessen für ihre drei Söhne zu kochen, fand ich lustig. Ihr Ghorme Sabzi schmeckte dafür auch ziemlich fad. Mein Vater hätte ein Drama daraus gemacht und es niemals gegessen, genauso wenig wie den Reis aus dem Reiskocher. Aber wahrscheinlich war Ramins Vater ein liebevoller und toleranter Mensch und nicht so ein cholerischer Tyrann wie meiner.
    Auf Ramins Schreibtisch lag ein großes Schwarz-Weiß-Foto von ihm in einer Plastikhülle. Er sah wunderschön darauf aus, mit seiner Mittelscheitelfrisur und seiner Rehbraunigkeit.
    »Was ist das für ein tolles Bild?«
    »Ich musste Passbilder machen. Das ist ein großer Abzug.«
    »Schenkst du mir das?« Ich drückte die Plastikfolie an mich. Auf die Rückseite der Folie waren der Name und die Adresse eines Teheraner Fotostudios gedruckt.
    »Ja, klar.« Ich steckte das Bild sorgfältig in meine Schultasche, die ich neben das Bett geworfen hatte.
    »Dann musst du mir aber auch eins schenken.«
    »Ja, okay, ich schau mal …« Ich fand mich auf Fotos immer hässlich.

    Als ich abends nach Hause kam, war mein Vater schon da und lag im Bett, weil er wie so oft Magenschmerzen hatte. Umso besser, dachte ich, dann bleibt er wenigstens liegen.
    Ich sagte meiner Mutter hallo und ging in mein Zimmer. Sie kam mir hinterher und raunzte mich an:
    »Deinem Vater geht’s schlecht!«
    Ich blickte finster an ihr vorbei.
    »Geh zu ihm und frag ihn nach seinem Befinden.«
    Dann sah sie angeekelt an mir herunter: »Und zieh sofort diese Hose aus. Wenn der Arme dich darin sieht, werden seine Schmerzen gleich schlimmer …«
    Ich verzog das Gesicht und blieb sitzen.
    Sie kam zu mir, zog mich am Arm und schrie mir direkt ins Ohr:
    »Los, geh zu deinem Vater, was bist du für ein treuloses Drecksstück, er liegt im Bett, da geht man hin und setzt sich etwas zu ihm.« Sie zerrte mich an meinem Ärmel hinter sich her. Ich wollte vermeiden, dass sie mein Sternenshirt zerriss, wie sie es mit vielen anderen Sachen getan hatte, und ging mit.
    An der Schwelle zur Schlafzimmertür blieb ich stehen. Ich konnte nicht einfach hineingehen und fragen, wie es ihm geht. Es war mir auch völlig egal. Wir hatten seit mehr als einem Jahr kein einziges normales Wort mehr miteinander gewechselt. Ich fand ihn widerlich. Und sein Selbstmitleid und seine Magenschmerzen fand ich noch widerlicher. Er lag im Bett, hatte das elektrische Wärmkissen auf dem Bauch und machte ein leidendes Gesicht.
    Meine Mutter stieß mich von hinten an.
    Ich klappte den Mund auf und sagte emotionslos: »Wie geht es dir?« auf Persisch, so, wie er es verlangte. Ich fragte nicht, ich spuckte es nur aus.
    Er schloss die Augen und nickte gequält und bedeutsam.
    Ich ging zwei Schritte rückwärts nach hinten, ging zurück in mein Zimmer, schloss die Tür und setzte mich davor auf den Boden, damit meine Mutter nicht wieder hereinkommen konnte.
    An seiner Stelle hätte ich nicht gewollt, dass ich bei ihm saß.

    Als ich am nächsten Tag später aus der Schule kam, waren etwa zwanzig Leute im Schlafzimmer meiner Eltern versammelt. Mein Vater hatte morgens einen Magendurchbruch gehabt und wäre fast verblutet. Jetzt war die ganze Familie bei uns und drängelte sich zusammen mit zwei befreundeten Ärzten um das Ehebett. Die Älteren saßen auf Sesseln, einige hatten sich auf die Bettkante auf der freien Seite gequetscht. Mein Vater lag im Bett, von seinem Arm hing ein Schlauch, neben ihm eine Infusionsstange mit einem Plastikfläschchen.
    Ich sah kurz in das überfüllte Schlafzimmer und war froh, dass sich niemand für mich interessierte, holte mir aus der Küche etwas Joghurt und Quittenmarmelade, ging in mein Zimmer und rief Ramin an.
    Er erzählte mir, dass seine Mutter mich sehr nett und süß fand und sie meinte, ich wäre außerordentlich wohlerzogen und würde so ein schönes und perfektes Deutsch sprechen, nicht so schlecht wie ihre eigenen Kinder, und dass ich gerne jederzeit wiederkommen dürfte
    Ich kicherte verlegen und sagte dann, ich würde seine Mutter auch mögen und sehr gerne wiederkommen. Und dachte: Ich will sofort kommen und ich will für immer bei euch bleiben, bitte, bitte. Wir

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