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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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organisiert haben.«
    »Nö. Was denn?« Ich hatte nichts gemerkt, da ich ja entweder mit Ramin zusammen war oder am Telefon hing.
    »Wir, dein Vater hat heute seine Ausreisegenehmigung erhalten. Wir wollen hier weg. Dieses Land hat keine Zukunft. Wir haben dir nichts gesagt, damit es geheim bleibt. Du darfst auch jetzt mit niemandem darüber sprechen, wie und warum du ausreist, hörst du? Mit niemandem!«
    »Was …? Ausreisen? Nach Deutschland.«
    Meine Mutter holte tief Luft.
    »Ja. DeinVater hat gesagt, dass er schwer krank ist. Du musst mit ihm fliegen, als seine Begleitung. In ein paar Wochen wird er ein Schreiben von seinem Professor schicken, dass er stirbt. Dann komme ich.«
    »Ich soll mit Papa alleine fliegen? Nach Deutschland? Wann denn?« Mir wurde schlecht. Ich wollte nicht weg. Ich war verliebt. Ich wollte mit Ramin zusammen sein und seine Frau werden.
    »Nächste Woche«, sagte sie ernst. »Du sagst, du weißt nicht, wie wir die Ausreise bekommen haben, verstanden? Zu niemandem ein Wort! Auch zu Ramin nicht!« Sie fing endlich an zu kreischen.
    »Ja, ist ja gut! Wieso denn schon nächste Woche? Ich will nicht fliegen. Ich bleibe hier und fliege mit dir.« Ich schob die Unterlippe nach vorne.
    »Weil dein Vater todkrank ist! Und weil man nicht weiß, was hier morgen passiert! Weil man sofort raus muss, wenn man die Ausreise hat, weil es sein kann, dass die hier komplett durchdrehen und Krieg mit Russland anfangen. Warum bist du bloß so blöd? Und weil du militärpflichtig bist, wenn du hierbleibst, dann musst du an die Front! Von mir aus kannst du gerne hierbleiben, dann habe ich meine Ruhe.« Sie schrie schon wieder. »Geh doch an die Front! Viel Spaß.«
    Sie hatte recht. Ich wurde im August sechzehn und damit militärpflichtig. Chomeini fand, Frauen müssten auch Kriegsdienst leisten, nicht mit Waffen, aber mit sozialen Diensten. Also verwundete Soldaten versorgen und solche Sachen. Ich dachte kurz an Hemingway und »In einem anderen Land« und stellte mir vor, wie Ramin und ich zusammen an der Front in einem grünen Zelt saßen und aus Blechnäpfen aßen, verwarf die Idee wieder. Ich müsste bestimmt ein Kopftuch tragen, und auf iranische Soldaten, die im Namen des Emam in den Märtyrertod ziehen wollten, hatte ich keinen Bock.

    Mein Vater hatte also die ganze Zeit seine oder unsere Flucht organisiert, und mir hatte keiner etwas gesagt. Ein alter Studienkollege, der jetzt Chefarzt in Berlin war, hatte ihm eine getürkte Krankengeschichte mit Röntgenbildern und allem Drum und Dran geschickt. Die Diagnose war Brustkrebs, eine sehr seltene und sehr schwer zu behandelnde Krankheit bei Männern. Das hatten die Mullahs im Amt für Ausreise anscheinend auch eingesehen und ihn als hochqualifizierten Arzt, der wichtig war für das Land und die Revolution, vor dem sicheren Tod zu bewahren versucht. Mit jedem Kranken durfte eine Begleitung mitreisen, wie praktisch. Und jede Ehefrau durfte zu ihrem sterbenden Gatten ins Ausland reisen, um ihm beim Sterben zuzusehen.
    Hätte ich weniger mit Ramin telefoniert, wäre mir vielleicht etwas von den Heimlichkeiten meiner Eltern aufgefallen. Und wenn ich etwas geahnt hätte, wäre ich nicht einen einzigen Tag noch zur Schule gegangen. Nicht durch eine blöde Prüfung hätte ich mich gequält. Alles ganz umsonst, was für eine Verschwendung von Lebenszeit. Ich wollte gerade anfangen, mich zu ärgern, da fiel es mir erst richtig ein: Es war vorbei! Ich durfte endlich raus hier, nach Deutschland, wie ich es mir sehnlichst und unendlich gewünscht hatte. Aber die Freude rutschte nicht durch. Ich musste schwer schlucken. Ramin, ich konnte Ramin nicht hierlassen. Er wollte nicht weg. Seine Eltern würden ihn liebend gerne wegschicken, aber er wollte hierbleiben. Verrückt. Eigentlich wollte ich auch nicht weg. Es war gerade superschön hier. Wie sollte ich einfach gehen? Und wozu sollte ich weggehen, wenn die Liebe meines Lebens nicht bei mir war?

    Die letzte Woche verging damit, dass in meinem Zimmer ständig irgendwelche Freundinnen mit Ramin rumsaßen und mir beim lustlosen Packen und Aussortieren zusahen. Ich verschenkte so gut wie alle meine Klamotten, meine geliebte Lederjacke, meine ganzen Platten, meine Comics und meine vielen Bücher. Meine Mutter sah jeden Tag entsetzt, wie alle säckeweise Zeug aus meinem Zimmer nach Hause schleppten, und schimpfte, ob ich verrückt sei, meine teuren Sachen, meine dämlichen Freunde wären es nicht wert, solche Dinge zu

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