Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
Vom Netzwerk:
traumatisiert hatte. Ich musste mir ständig anhören, wie schrecklich es für sie im Internat war mit den bösen Nonnen und sie es deshalb mit meinem Vater aushalten würde, nur damit ich nicht dasselbe durchmachen musste wie sie. Ich konnte mir aber dabei nichts Schreckliches vorstellen: Viele echte Nonnen in langen schwarzen Gewändern und weißen Hauben, die glaubten, mit Gott verheiratet zu sein, die man den ganzen Tag ärgern konnte, das war doch ein Traum. Ich musste mich immer nur mit meinen Eltern und den doofen Kindern in meiner neuen schrecklichen Schule langweilen. Viel lieber wäre ich allein und unter Nonnen gewesen.

    Nach der Zeugnisvergabe hatten wir noch einige Tage, die wir beim Sommerfest, Schwimmfest, Sportwettkämpfen und Kuchenbasar verbrachten. Meine Eltern hatten das Formular für mich ausgefüllt, »wiederholt die vierte Klasse Grundschule« angekreuzt und mir in die Hand gedrückt, damit ich den Brief im Sekretariat abgab.
    Diese letzten Tage waren die schönsten der ganzen Zeit, die ich bis dahin auf der Schule verbracht hatte. Meine sportlichen Leistungen waren so unterirdisch, dass ich zum Glück für keinerlei Wettkämpfe oder sonstige Verpflichtungen qualifiziert war. Ich konnte in dem großen Pool schwimmen, selbst gebackenen Marmorkuchen von deutschen Müttern essen und die Älteren beim Knutschen und Coolsein beobachten. In meiner Klasse waren es zehn Kinder, die nicht versetzt wurden, die Schande hielt sich dadurch für mich in Grenzen, ich war nicht die Einzige, deren Leistungen nicht genügten. Zehn Kinder waren immerhin dreißig Prozent der gesamten Schülerzahl, was eine ziemliche Katastrophe für den Klassenlehrer war, also für Herrn Lies. Als die Sitzenbleiberquote bekannt wurde, waren meine Eltern wieder etwas versöhnt: Es traf auch andere. Dann fiel ihnen auch noch ein, dass sie mich, einen ohnehin lernschwachen Schüler, mitten im Schuljahr aus einem Bundesland mit einem einfachen Lernprogramm, nämlich Niedersachsen, in eine fremde Schule mit einem sehr hohen Unterrichtsniveau, nämlich Bayern, und zudem noch ein völlig fremdes Land gesteckt haben. Die Deutsche Schule in Teheran folgte nämlich den bayerischen Lehrplänen. Und dann wurde ihnen noch klar, dass ich immer die Jüngste war. Ich war als im August Geborene mit fünf eingeschult worden und erst zwei Wochen nach dem ersten Schultag sechs. Ich war also aus dem Schneider.
    Die Sommerferien konnten beginnen. Was ich die zwei Monate machen wollte, wusste ich nicht. Alleine im Pool zu schwimmen war nichts, was man sechs Wochen lang jeden Tag hätte machen können. Die wenigen deutschen Freunde waren gleich nach Ferienbeginn zu ihren Omas nach Deutschland geflogen und kamen erst gegen Ende der Ferien, also Anfang September zurück. Von Verreisen sprach irgendwie niemand. In Deutschland waren wir immer weggefahren, wenn ich Ferien hatte. Meine Eltern waren regelrecht reisewütig und schleppten mich schon als kleines Kind durch halb Europa. Wir spazierten durch die Kinderboutiquen von St. Germain in Paris, fuhren Doppeldecker-Bus in London, aßen Pommes in Brüssel, Schnitzel in Wien, Bratwurst in München oder kauften mir die schicksten Sandalen meines Lebens bei Bally in Genf. Die Sommerferien verbrachten wir immer in Südfrankreich, bis auf eine Ausnahme, die uns im VW Käfer meiner Eltern nach Split in Jugoslawien führte. Schon die Autofahrt bis nach Montenegro werde ich nie vergessen. Rechts von der schmalen zweispurigen Bergstraße ging es viele Hundert Meter steil nach unten, darunter glitzerte das Meer. Auf der anderen Seite ging es genauso steil nach oben. Von Zeit zu Zeit kam uns laut hupend ein Lastwagen entgegen. In dem Käfer wurde mir schon auf deutschen Autobahnen schlecht, aber dies war ein ganz anderes Leid. Obwohl mein Vater mich mehrmals im Rückspiegel in eine Karstadt-Tüte kotzen sah, weil es keinen Seitenstreifen zum Anhalten gab, blieben er und meine Mutter bis zur Ankunft bester Laune. Sie hörten Mina, und meine Mutter sang laut in ihrem perfektem Italienisch mit: Parole, Parole, Parole …
    Mein Auftritt bei unserer Ankunft in dem großen würfelförmigen Fünf-Sterne-Hotelkasten in Split war etwas erbärmlich: Ich war immer noch schweißgebadet, hatte zittrige Knie, braune Flecken von den unverdauten Nutellabroten auf dem Ringelpulli, denn ich hatte die Tüte natürlich nicht immer ganz getroffen und roch deshalb auch nicht mehr ganz frisch.
    Aber Split war gar nicht übel, fand ich. In

Weitere Kostenlose Bücher