Hinter dem Mond
Locken.«
Mich beachtete dort niemand, ich war nur ein blödes Kind. Und in den Kreisen dieser Frauen distanzierte man sich von seinen Kindern schon möglichst früh nach der Geburt. So eine Freundschaft, wie ich sie mit meiner Mutter unterhielt, kannten und wollten die nicht.
Als ich das alles dort sah und hörte, beschloss ich, in meinem Leben auch immer meine teuer riechenden Pelze (ich hatte heimlich an einem geschnuppert) achtlos auf irgendwelche Ledersofas zu werfen, meine Nagellacke bei Chanel in Paris zu kaufen und absolut allergisch gegen Locken zu sein. Am liebsten hätte ich für immer dort gesessen und einfach nur die Frauen angestarrt und belauscht.
So kam es, dass ich einverstanden war, als meine Mutter mir vorschlug, vier Wochen der Ferien in diesem Sommercamp zu verbringen, in das die Tochter der Chefin meiner real gewordenen Visionen und innersten Sehnsüchte ging.
Das Sommercamp war einfach eine blöde Schule mit einem großen Pool, einem Handballplatz und einem Speisesaal. Da ich immer noch mit einem persischen Minimal-Wortschatz auskam und so gut wie gar nicht Lesen und Schreiben konnte, steckten die mich in die erste Klasse, zu den Siebenjährigen. Ich kam mir ein bisschen vor wie Gulliver zwischen den Zwergen, denn auch die Tische und Stühle waren winzig, und ich war im Gegensatz zu den persischen Kindern in meinem Alter ziemlich hochgewachsen. Aber selbst zwischen den Zwergen hatte ich Mühe, mich zu verständigen oder zu verstehen, worum es ging. Es war entwürdigend, auf einem Winzlingsstuhl über einem Mini-Pult zu hängen und die einfachsten Dinge an der Tafel nur mühsam zu entziffern. Die Tochter der Freundin meines Großvaters stellte sich auch als keine besonders wertvolle Connection heraus. Sie war zwei Klassen über mir, sehr schüchtern und sehr langweilig, uns fehlte das, was man »gemeinsame Wellenlänge« nennt.
Vormittags hatten wir vier Stunden Unterricht, danach war Mittagessen, und nachmittags durften wir im Pool schwimmen. Im Speisesaal wurde schlecht schmeckendes und übel riechendes Essen auf bunten Plastiktellern an uns Kinder verteilt. Meistens wurde persisch gekocht, was in dieser Schule im Prinzip immer aus Reis mit einer meist völlig zerkochten Lammfleisch-Gemüse-Beilage bestand. Aber persisches Essen muss von höchster Qualität und liebevoll zubereitet sein, um zu schmecken. Das war in der Sommercamp-Küche nun nicht der Fall. Ich mochte manches aus der persischen Küche schon gern, aber eben nur manchmal und auch nie so gern wie ein knuspriges, goldgelbes Schnitzel oder Brathuhn mit Pommes. Und ich aß grundsätzlich nur, was meine Mutter, Tante Mahin oder Maman kochten. Egal, wie nervig Mahin und Maman auch waren, ihr Essen war meistens ziemlich großartig und die knusprigen Lammbraten mit der leckeren Kruste von Maman legendär. Meine Mutter hatte eine Cousine, Pouri, die mit einem Deutschen, Klaus, verheiratet war, und mit ihm und ihren zwei Kindern in Teheran lebte. Sie hatten einen Hausangestellten, der einfach so tat, als wäre er Koch. Pouri, Klaus und den Kindern schmeckte es. Meine Mutter sagte, der Knecht hätte eben keine Ahnung, weil er Knecht und kein Koch wäre, und Pouri hätte einfach keinen Bock, sich in die Küche zu stellen, weil man sich als Dame des Hauses in der Familie meiner Mutter nicht einfach an die Töpfe stellte.
»Wir durften noch nicht einmal in die Küche, das war nur für die Bediensteten«, sagte meine Mutter immer wieder und sah mich dabei hochnäsig an, weil ich gerne in der Küche saß und Massume Chanum beim Putzen eines Spinatbergs zuschaute. Aber ich mochte Pouri zu meiner eigenen Verwunderung sehr und freute mich sogar, wenn wir zu ihnen fuhren, weil sie nett, ganz normal und gar nicht verrückt waren. Ihr Sohn Pauli war ein Jahr jünger als ich, auch bei mir auf der Schule, und mit ihm konnte man sogar spielen. Ein ganz normaler Junge, der trotz seines deutschen Vaters schlecht Deutsch sprach. Aber er war kein Idiot, hatte eine Carrera-Rennbahn, gute Matchbox-Autos und er sah hübsch aus. Pouris Mutter war die Schwester meines Opas, und Pouri hatte eine Zeitlang in Deutschland eine Sprachschule besucht und dann Klaus zufällig in Teheran in einem Antiquitätengeschäft gefunden, ihm hilfsbereit mit ihren Deutschkenntnissen beim Übersetzen geholfen, und schon war es um Klaus geschehen. Er war so schockverliebt, dass er wie ein Perser bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten musste. Sie heirateten in Teheran, und Klaus
Weitere Kostenlose Bücher