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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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jetzt auch unser Angestellter war, das Paket, er setzte sich damit in die Ecke unserer Terrasse und aß es mit einem Berg Lawasch, dünnem Naan. Auch er trug so weite Schlabberhosen und weite Hemden, die er nicht in die Hose steckte. Und er hatte Socken an, dunkelbraune Polyestersocken, und seine Schuhe waren aus schwarzem Gummi und so geformt wie Schnürschuhe. Sogar Schnürsenkel waren hineingeformt.
    Massume Chanum wollte kein Kebab, sie aß immer nur etwas sauren Joghurt mit Gurke und Reis und Brot in dem Backyard hinter der Küche. Ich sah den beiden oft heimlich beim Essen zu, und es deprimierte mich unglaublich.
    »Jetzt sieh ihnen doch nicht so beim Essen zu!«, zischte meine Mutter immer und zog mich weg.
    Die größte Phobie meiner Eltern, egal ob in Split oder Teheran, waren schlechte Ernährung und verunreinigtes Essen.
    So gab mir meine Mutter jeden Tag in diesem Sommer im Camp mein Essen in drei kleinen übereinandergestapelten Töpfchen mit, was die Frauen in der Schulküche für mich aufwärmten. Meine Mutter füllte die Töpfchen natürlich mit Sachen, die ich gerne aß. Wenn ich dann mein Arrangement von Fleisch, Kartoffeln und Gemüse vor mir in meinen kleinen Alu-Töpfchen stehen hatte, sahen mich die persischen Kinder an, als würde ich lebende Insekten essen, und fragten ständig: Was ist das? Und: Warum isst du das? Und dann sahen sie mich an, als wäre ich eklig.
    Niemand wollte wissen, wie das, was ich esse, schmeckt, oder wollte gar probieren. Aber sie fanden es komisch, dass ich mein Essen aus kleinen Töpfen serviert bekam, und betrachteten argwöhnisch meine bunten Beilagen und löffelten dabei emotionslos ihren trockenen Reishaufen in sich hinein. Irgendwann wurde mir das zu blöd, die Älteste unter Zwergen zu sein, die sich kaum in der Zwergensprache unterhalten konnte, nicht lesen und nicht schreiben konnte und auch noch Kartoffeln und Gemüse aß statt Reis wie alle Zwerge. Ich sagte meiner Mutter, ich wollte ihr Mittagessen nicht mehr und aß zusammen mit den anderen Kindern den trockenen Reis mit etwas Lamm-Kräuter-Matsche von bunten Plastiktellern.
    Das nachmittägliche Schwimmen war eine Wohltat. Ich konnte besser schwimmen als die anderen und ich konnte auch springen, tauchen und mit Schwimmbrille und Tauchflossen umgehen. Das erhob mich in eine Liga, in der sich nur die Jungs befanden. Und die Sprachbarriere hob sich dabei auf, denn es wurde beim Springen, Tauchen und Wasserspritzen sowieso nur geschrien und nicht wirklich gesprochen. Manchmal spielten wir Spiele im Wasser, wo ich wieder die Langsamste war, weil ich die Zurufe der anderen nicht verstand.
    Wenn meine Mutter oder unser Fahrer mich am späten Nachmittag vom Camp abholten, war ich meistens so erschöpft, dass ich mich nur noch vor den Fernseher legte und amerikanische Serien sah, bis ich irgendwann einschlief.
    So vergingen die Sommerferien. Zwei Wochen vor Schulbeginn kam ein Brief von meinem Schuldirektor. In dem Brief stand, dass ich nach den Sommerferien in die fünfte Klasse der Hauptschule versetzt würde.
    Meine Mutter öffnete ihn, ihr Gesicht verändert sich komplett, während sie ihn las, und als sie wieder aufsah, hatte sie rote Flecken im Gesicht und stieß die unglaublichsten Flüche gegen mich aus.
    Ich ging sicherheitshalber in mein Zimmer und schloss die Tür. Kurz darauf wurde sie laut aufgerissen, und mein Vater stand in der Tür und hatte eine Verlängerungsschnur in der Hand. Das eine Ende mit dem Stecker dran hatte er um seine Hand gewickelt. Ich lag auf meinem Bett und starrte ihn an.
    »Du Scheißkind«, brüllte er, und ließ das Kabel auf meine nackten Beine heruntersausen. Ich hatte Shorts und ein T-Shirt an. Es tat so weh, wie mir noch nie zuvor etwas wehgetan hatte. Er schlug noch einmal, zweimal, immer wieder. Er schlug mich überallhin. Auf die Unterschenkel, Oberschenkel, auf meinen Bauch, meine Oberarme und meinen Rücken. Dabei brüllte er ununterbrochen schreckliche Sachen, die alle darauf hinausliefen, dass ich ein wertloses Stück Dreck war. Meine Mutter stand in der Tür und schrie ihre eigenen Schimpftiraden dazwischen, immer noch mit dem Brief in der Hand, den ich noch gar nicht gelesen hatte. Als sie sah, dass mein Vater sich so in Rage gepeitscht hatte, dass ich nur noch bewegungslos wimmernd auf dem Bett lag, ging sie dazwischen und zog ihn fort. »Hör auf, wie lange willst du noch schlagen«, sagte sie und sah mich voller Hass an, »es reicht jetzt.«
    Dann gingen sie

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