Hinter dem Mond
Welt.
Ich hätte fast gejubelt, dass ich von dem blöden Job erlöst war und die anderen Mädchen endlich aufhören würden, mich zu hassen. Aber die Mädchen hassten mich immer noch, und ich musste mir in meiner Not meine Freundinnen unter den unscheinbaren deutschen Mädchen suchen, die natürlich nicht zu dem coolen Kreis gehörten. Und zu allem Übel war jetzt Michael in mich verliebt. Michael war hochgewachsen, hatte hellbraune Haare und Lippen wie Mick Jagger. Ich fand ihn irgendwie eklig. Er gehörte auch zu der Gang der coolen Jungs, und plötzlich belagerte er mich, wenn die anderen nicht dabei waren, was mir Angst machte. Einmal bekam er bei einer Rauferei im Klassenzimmer Nasenbluten, und unsere Klassenlehrerin legte ihn auf einen Tisch, und er sollte den Kopf zurücklegen, damit es aufhörte zu bluten. Ich stellte mir noch Jahre danach immer vor, wie Michael das Blut in den Rachen rann, und ekelte mich dabei. Ich wollte keinen Freund haben, der den Rachen voller Nasenblut hatte. Ich wollte überhaupt nicht zu einem Jungen gehören. Ich wollte lieber einer von den Jungs sein. Ich wollte, dass die Jungs mich fragten, ob ich mit ihnen zum Kiosk wolle, einen Donut kaufen. Oder dass sie mir ihr Bonanza-Rad geben würden, damit ich lernte, wie man die Steinstufen zu unserem Klassenzimmer hoch und runter fuhr. Aber das machten sie nicht. Mir fehlten meine Fortbewegungsmittel, mein Fahrrad, mein Kettcar und mein Bollerwagen, den ich als Anhänger an meinem Fahrrad befestigen konnte. In Deutschland waren wir immer alle auf Rädern unterwegs, und wenn es nur Rollschuhe waren. Jetzt in Teheran konnten nur diejenigen mit ihrem Rad zur Schule, die in unmittelbarer Nähe zur Schule wohnten. Aber das taten wir nicht, sondern zwanzig Minuten mit dem Schulbus entfernt. Also blieb mir nichts anderes übrig, als den glücklichen Jungs dabei zuzusehen, wie sie mit ihren Rädern Kunststücke auf dem Handballplatz vollführten. Sie nahmen mich nicht wahr, und wenn, dann wurden sie in meiner Anwesenheit anders, obszöner. Ihre echte Welt blieb mir verschlossen.
Ein paar Monate nach Beginn des Schuljahres kam es zu einer Verkettung von unglücklichen Ereignissen. Mein Vater kam eines Abends mit der Nachricht, dass wir ausziehen müssten, da unser Vermieter und Hausbesitzer das ganze Haus verkaufen wollte. Gerade als meine Eltern angefangen hatten, sich neue Wohnungen und Häuser in der gehobenen Gegend in der Nähe meiner Schule anzusehen, zogen die Mieter im oberen Stockwerk im Haus meiner Großeltern aus, und die Wohnung stand leer. Sie hatten sie meinem Vater angeboten, und er schlug uns vor, das Angebot anzunehmen. Meine Mutter und ich schrien vor Entsetzen auf und sagten, alles an der Idee wäre schrecklich, aber mein Vater blieb dabei. Es wäre sicherer, die alten Leute wären nicht allein und wir könnten ja von dort aus weitersuchen. Hauptsache, wir hätten erst einmal etwas. Ich verstand seine Argumente nicht. Wenn wir erst mal im Haus meiner Großeltern wären, müssten wir ja noch einmal umziehen und alles von vorne durch die Gegend schleppen. Und so alt und schwach waren die beiden nicht, dass sie die unmittelbare Nähe und den Schutz ihres ältesten Sohnes gebraucht hätten.
Ich glaube, in Wahrheit war es so, dass sie es meinem Vater als großzügige Geste angeboten hatten und mein Vater nicht den Mumm hatte, abzuschlagen. Er faselte auch ständig davon, dass sein Vater ihm jahrelang das Studium in Deutschland bezahlt hätte und er jetzt die alten Leute nicht aus purem Egoismus allein und damit im Stich lassen könnte.
Zum Glück hatte meine Mutter immer noch nur das Nötigste von unseren Sachen ausgepackt, und der Umzug ging trotz unseres Widerwillens ziemlich schnell. Das Haus meiner Großeltern war von außen ein zweistöckiger Würfel mit römischen Säulen davor und einem mittelgroßen Garten, in dem ein mickriger und unstylischer Pool war. Es sah so aus wie alle Häuser in der Straße, wie fast alle Häuser in Teheran, in denen die normale Oberschicht wohnte, die noch nicht bereit für eine Monster-Villa im besten Viertel der Stadt war. Fast jedes Haus in Teheran war würfelförmig, hatte einen kleinen überpflegten Garten mit Omablumen und Omabäumen, neben dem von mir geschätzten Maulbeerbaum noch einen Khakibaum und jede Menge Weinstauden, in deren Blätter meine Mutter Hackfleisch wickelte und sie Dolme nannte. Die hohen Mauern um jedes Haus wurden von den vielen Teheraner Straßenkatzen als erhöhte
Weitere Kostenlose Bücher