Hinter dem Mond
als er diese Berge schuf. Erhaben und anmutig erhoben sich die Gipfel im Norden, direkt hinter unserem Schulgelände, und bildeten eine natürliche und Respekt einflößende Grenze der Stadt. Dahinter lag das Kaspische Meer. Immer, wenn wir nach Rasht fuhren, mussten wir durch diese Berge hindurch, die kurvigen, schmalen Gebirgsstraßen entlang, links ging es steil nach oben und rechts viele Meter tief in die Schlucht, wo ein fast ausgetrocknetes Flussbett war. Ich wurde jedes Mal an unsere Fahrt nach Split erinnert.
Aber wenn mir nicht schlecht wurde, genoss ich die Fahrt durch die braunen Berge, neben dem breiten, reißenden Fluss Damavand und die mit Bommeln, Teppichen und anderem lustigen Schnickschnack dekorierten Lastwagen mit empört mähenden Schafen auf der Ladefläche. Es war schade, dass sich die Perser an der Schönheit der Natur beim Bauen ihrer Städte kein Beispiel genommen hatten. Teheran war leider ein grauer Moloch. Und alles, was die Stadt an nennenswerten historischen Stätten zu bieten hat, war ein zu Ehren des Schahs errichteter Triumphbogen, der insofern symbolisch für Teheran war, als er groß war und auf allen Postkarten abgebildet, aber nicht schön. Die vielen Moscheen waren auch nicht schön, es waren ja Moscheen, und ich hatte mittlerweile große Angst davor, weil alle immer so hysterisch waren und sich wie irre dort aufführten, nur weil ein toter Prophet von vor tausend Jahren dort sein Mausoleum hatte. Und das Beten war mir auch unheimlich. Moslem sein war mir unheimlich. Bei denen stimmte was nicht.
Aber die Berge waren wirklich schön, das musste ich zugeben, ich freute mich jeden Morgen, wenn ich in den Schulbus stieg und Richtung Norden, Richtung Berge fuhr, sie in ihrer riesigen Pracht vor dem fast immer tiefblauen Teheraner Himmel zu sehen. Sie hatten etwas Beruhigendes. Eines der ganz wenigen Dinge, auf die man sich in diesem Land verlassen konnte: Die Berge waren einfach immer da.
Wir Fünftklässler durften dieses Jahr zum ersten Mal bei dem legendären Skikurs unserer Schule mitfahren, also eine Riesenaufregung. Es gab zwei großartige Skigebiete im Elburz-Gebirge, jedenfalls schwärmten unsere Lehrer davon. Das kleinere und an Teheran näher gelegene hieß Shemshak, das andere, größere hatte der Schah von einem Schweizer Skigebiet-Architekten nach seinem Geschmack errichten lassen, damit er nicht mehr nach St. Moritz fahren musste. Die ganze Schah-Clique hatte dort ihre Villen und Chalets, die man teilweise nur mit dem Hubschrauber erreichen konnte, und es gab noch ein Fünf-Sterne-Hotel für normale Leute. In diesem Hotel sollten wir untergebracht werden! Eine ganze Woche! Ohne Eltern!
Es gab sechs verschiedene Kurse, für die wir uns eintragen sollten. Von Noch-nie-auf-Skiern-gestanden, was auf mich zutraf, bis zu Tiefschneewedeln. Außerdem stand auf dem Zettel, dass wir Skikleidung bräuchten, aber nicht zwingend eine Ausrüstung, die konnte man auch leihen. Die fünf Tage kosteten 1200 Toman, etwa so viel wie vierhundert Euro heute.
Ich brachte den Zettel aufgeregt nach Hause und erzählte meiner Mutter begeistert von dem Skikurs. Sie sagte nur: »Willst du Skilaufen gehen, um dir die Knochen zu brechen?« Dann keifte sie ein bisschen, dass sie keine Lust auf Knochenbrüche hätte, und brach mein Geschrei mit einem Schulterzucken ab: »Frag deinen Vater.«
Ich hasste es, meinen Vater etwas fragen zu müssen. Dieses Um-Erlaubnis-Bitten war ohnehin entwürdigend genug, ich hätte es lieber gehabt, grundsätzlich alles machen zu können, was ich wollte, ohne zu fragen und ohne Verbote, und es ihnen dann nur noch mitzuteilen: »Ach, ich gehe übrigens im Januar eine Woche Skilaufen, und ihr? Fahrt ihr auch weg?«
Hinzu kam, dass mein Vater mittlerweile fast immer schlecht gelaunt war und zu allem nur noch nein sagte, aber wir immer das machen mussten, was er wollte. Zum Beispiel jeden Freitag mit seinen langweiligen Eltern verbringen, was mir zum Hals raushing.
»Papa, schau mal«, sagte ich mit Kleinmädchenstimme auf Farsi, um ihm zu gefallen, »es gibt für uns dieses Jahr den tollen Skikurs, im Januar, und … ich darf schon mitfahren, ja?«
Ich lächelte ihm motivierend zu und dachte: Sag schnell ja, sag einfach nur ja, verdammt!
Er sah mich gar nicht an, schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, Skifahren kommt nicht in Frage. Rede nicht mehr davon.«
Mir blieb der Mund offen stehen. Ich hatte mich auf ein unangenehmes Gespräch gefasst gemacht, mit
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