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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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zufällig genau wusste, weil ich ihn mehrmals auf der Babywaage in der Praxis meines Vaters gewogen hatte.
    »Erkennst du ihn nicht?«, fragte Hedi amüsiert.
    »Ich? Wen? Den?« Ich deutete entrüstet auf den Dicken in der Kiste. »Woher soll ich den denn kennen?«
    »Ja klar! Den hast du mir damals als Zwergkaninchen angedreht! Weißt du nicht mehr?«
    Ich riss die Augen auf. Aber das war doch nicht das niedliche kleine Häschen, das meine Mutter rausgeworfen hatte!
    Und Hedi war dann das kleine Mädchen mit den dunklen Locken, die mir die 120 Toman dafür gegeben hatte. Oh Mann, war ich froh und meiner Mutter im Nachhinein dankbar. Wenn wir den behalten hätten, hätte Mr Molly gar keine Chance mehr gehabt, bei uns zu wohnen, und ich hätte so einen nutzlosen Dicken gehabt, der in seiner Kiste stinkt, nur Karotten mümmelt, bis er platzt, und sonst zu nichts zu gebrauchen war.
    »Ach, der ist das? Ähem. Scheint ja dann doch kein Zwergkaninchen zu sein …«
    »Nein, war er nicht«, sagte Hedi etwas pikiert. »Du hast mich betrogen …«
    »Hmja … tut mir leid.« Mir war es wirklich peinlich.
    Ich sah noch ein letztes Mal entsetzt in die Kiste und ging dann raus zu den anderen. Ich war nur etwas neidisch auf Hedis österreichische Mutter, die die Kiste sogar in der Küche duldete.
    Als ich das an dem Abend meiner Mutter erzählte, warf sie aus gespieltem Ärger ihren Schuh nach mir. Und dann sahen wir unsere gelbe Miezekatze an, die auf dem Sessel im Esszimmer schlief, und meine Mutter sagte nur: »Gut, dass der schon lange aufgehört hat, zu wachsen!«
    Und ich: »Der wäre jetzt ein Löwe! Und hätte natürlich trotzdem immer schicke Pullover an, meine würden ihm passen, dann würde unsere Riesenkatze im Ringelpulli runter gehen, an der staunenden Maman vorbei und bei Emdadi in den Garten kacken.« Ich kreischte vor Vergnügen.
    Das machte Mr Molly nämlich immer im Nachbargarten. Und er trug ja meistens ein T-Shirt, weil ich ihn immer noch anzog. Meine Eltern lachten sich kaputt, wenn sie sich vorstellten, was der spießige persische Nachbar Emdadi wohl in seinem kleinkarierten persischen Kopf so dachte, wenn er aus seinem Wohnzimmerfenster mit ansehen musste, wie eine gelbgeringelte Katze in einem blauen Matrosenpulli von der Mauer in seinen Garten sprang, unter seinen Maulbeerbaum kackte, den Haufen gemütlich zuscharrte und wieder verschwand.

    Als wir bei Afsane, einem anderen Mädchen, das ich neu kennenlernte, zu Hause waren, war ich überrascht, wie geschmackvoll und beruhigend ihr Zimmer war. Ein richtig tolles Mädchenzimmer hatte ich nämlich noch nicht gesehen in den vielen großen Häusern. Es war keine chaotische Kinderburg wie meine Bude und kein zweckmäßiger Raum wie bei den anderen, sondern es hatte eine richtig schöne Einrichtung. Mit Möbeln, die zusammen passten und mir sehr gefielen. Hier hatte jemand Geschmack, das gab es in Teheran selten. Ich setzte mich auf ihr cremefarbenes Sofa und stöhnte neidisch.
    »Dein Zimmer ist superschön.«
    »Ich weiß«, sagte Afsane selbstzufrieden. »Ich liebe mein Zimmer. Als ich vom Skikurs zurückkam, habe ich hier einfach nur eine Zeitlang ganz allein gesessen und mein Zimmer genossen. Einfach nur genossen.«
    Ich hatte noch nie ein Zimmer »genossen«, ich wusste gar nicht, dass es so etwas gab, und schon gar nicht bei uns zu Hause, weil ich mich dort nirgends wohl fühlte, auch nicht in meinem Zimmer.
    Unser Notunterrichts-Jahr ging schon Anfang Juni zu Ende. Ich kam mit meinem Zeugnis und der Versetzung in die achte Klasse mit nassen Haaren und nach Chlor riechend nach Hause, und meine Mutter überraschte mich mit der Nachricht, dass wir über Beziehungen in der englischen Botschaft ein Visum bekommen hatten und jetzt ein paar Wochen Ferien in London verbringen und meine Tanten und ein paar andere Verwandten besuchen würden, die dort leben.
    »Aber wir fliegen auch nach Deutschland, ja?«
    »Was willst du in Deutschland? Da ist doch nichts los, in London kann man viel besser einkaufen, oder?«
    Meine Mutter war immer der Ansicht, in Deutschland gäbe es keine schönen Kleider.
    »Kann ich dann in London bleiben und ins Internat?« Es war schon eine Angewohnheit geworden, die Internatsfrage zu stellen.
    Meine Mutter sah mich an und lachte und schüttelte den Kopf.
    »Du willst also nach England ins Internat? Hahaha, was hast du für eine Vorstellung davon? Schau dich doch einmal an, Miss Lilly!«
    Ich sah mich an, ich war knackbraun, der

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