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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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um irgendein Prinzip, was sich irgendjemand ausgedacht hat und an das sich wieder alle Idioten blind hielten. Und natürlich um ihre eigene Ehre.
    Aber anscheinend fand ihr hinterhältiges Rufen nicht das erhoffte Gehör bei meinem Vater. Sie kam zurück in mein Zimmer und fing an, mich anzuschreien. Ich klappte die Ohren einfach zu, es war nicht auszuhalten, und mein Leben wurde plötzlich wieder total ungemütlich, bis ich hörte:
    »Los, steh auf, wir gehen jetzt zum Frauenarzt, der soll dich zunähen!«
    »Bitte, was?«
    »Los, steh auf, soweit kommt’s noch, dass du keine Jungfrau mehr bist.«
    Ich dachte, das kann die nicht wirklich gesagt haben, aber sie schien es ernst zu meinen!
    »Nee, Mama, echt …«
    »Nix, echt echt …« Sie äffte mich nach. »Los jetzt!«
    »Was soll ich da? Ich werde immer Tampons benutzen, ich nehm doch keine Binden!«
    »Ein Mädchen hat Binden!« Meine Mutter hatte eine Tamponphobie, sie benutzte selber Binden.
    »Nur Idioten nehmen Binden! Ich nicht!«
    »Ein Mädchen nimmt keine Tampons! Wir lassen dich jetzt zunähen, danach benutzt du Binden! Keine Widerrede!«
    Das ging noch eine Zeitlang so weiter, aber sie bekam mich natürlich nicht zum Frauenarzt, dafür raubte sie mir den letzten Nerv. Am Abend sagte sie zu meinem Vater, er solle mich doch die letzten drei Wochen der Ferien mit in seine Praxis nehmen, sie würde es mit mir zu Hause nicht aushalten. Und Mr Molly sollte auch gleich mit, der würde ihr auch auf die Nerven gehen.
    »Aber wieso? Weil ich mich mit einem Tampon entjungfert habe?«
    »Halt den Mund!«
    »Aber ist doch besser so! Jetzt hab ich’s hinter mir.«
    Sie fand das überhaupt nicht lustig. Ich hatte nicht gewusst, dass sie so viel Wert auf ein unbeschädigtes Jungfernhäutchen legt, wir hatten nie darüber gesprochen. Ich dachte, solche Dinge gibt es nur in Märchen, Fabeln und Sagen und bei der persischen Unterschicht und Landbevölkerung. Hätte ich das geahnt, hätte ich die Tampons natürlich versteckt und meine Ruhe gehabt. Sie nahm mir die Packungen weg, aber ich sagte: »Come on, jetzt ist es eh schon zu spät. Ganz Teheran ist Jungfrau, nur deine Tochter nicht. Also gib die wieder her.«
    Sie gab sie nicht her, sondern versteckte sie hinten in ihrem Kleiderschrank, wo ich sie dann irgendwann hervorholte. Die Stimmung war aber schon wieder tief im Keller. Sie zwang meinenVater, mich mit in die Praxis zu nehmen, damit ich ihr nicht auf den Wecker ginge.

    In der Praxis meines Vaters war es lustig. Mr Molly pennte den ganzen Tag auf einem Stuhl in der Küche, damit ihn die Patienten nicht sahen und sich fürchteten. Ich machte mich bei den Sprechstundenhilfen und Patienten wichtig. Wenn mein Vater morgens die Praxis aufsperrte, war innerhalb von wenigen Minuten das Wartezimmer proppevoll. Wenn einer krank war, kam die halbe Familie mit. Frauen kamen nie ohne ihre Männer, Greise brauchten mindestens zwei Begleiter, die Schwiegertochter und zwei Enkel, und alle waren unglaublich devot und dankbar. Dass meinVater eigentlich Kinderarzt war, interessierte kaum jemanden, er war ein guter Doktor, und er war aus Deutschland, das war wichtig, und er hatte schon jede Menge halbtoter Säuglinge wieder zum Leben erweckt, also ging man zu ihm. Die halbtoten Säuglinge hatten immer durch den nicht ganz keimfreien Lehmhütten-Lifestyle der Tschador-Schicht schlimme Infektionen und dadurch bedingten schlimmen Durchfall. Sie vertrugen keine Milch mehr, aber die Leute waren zu unwissend, um damit umgehen zu können. Wenn das Baby dann schon so gut wie ausgetrocknet war, kamen sie endlich zu meinem Vater. Eine heulende junge Frau, ein schweigsamer junger Mann, und meistens noch eine aufgeregte ältere Frau, die Schwiegermutter. Alle rochen nicht besonders frisch, die junge Frau trug meistens den Arm voller breiter Goldreife und hatte Türkis-Ohrringe in den Ohren. Die Babys trugen keine Windeln und keine Kleidung, sie waren immer in eine Unmenge von Tüchern gewickelt, meist die Tücher, aus denen auch Tschadors genäht wurden, denn die Mütter dieser Babys trugen alle Tschadors. Mit elendigen Gesichtern wurde dann auf dem Behandlungstisch meines Vaters das arme Bündel ausgepackt, ein Tuch nach dem anderen, bis man ein mageres Etwas sah, das sich kaum noch bewegte. An diesem Punkt fing mein Vater an zu schimpfen, warum sie so spät kämen, der Kleine wäre ja schon fast tot! Dann fingen die Frauen an zu heulen. Ich fand es komisch, dass die Babys so in ihrer

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