Hinter dem Mond
denn? Hier ist gar kein Bett!«
»Wir rollen nachts die Matten aus und machen uns Betten.«
»Ihr schlaft alle zusammen auf dem Boden? Nebeneinander?«
Sie lächelte.
»Ja, aber wir Kinder drehen uns nachts weg von unseren Eltern, damit sie sich nicht gestört fühlen, falls die sich etwas zu sagen haben.«
Ich habe dieses Gespräch nie vergessen, aber an dem Tag und auch noch Jahre später überhaupt nicht verstanden, was sie eigentlich mit »falls die sich etwas zu sagen haben« meinte. Ich dachte in dem Moment nur, warum müssen sich die armen Kinder wegdrehen, damit die blöden Eltern nachts im Bett noch miteinander quatschen und die Kinder stören, die können doch tagsüber genug reden. Ich war vollkommen entsetzt, wie man so aufwachsen konnte, ohne eigenes Zimmer und noch nicht mal mit einem eigenen Bett.
Mein Vater meinte später zu mir, ich solle aufhören, die Hausmeisterstochter zu belagern, es wäre ihm und dem Hausmeister unangenehm.
Jetzt sah ich ihr eine Zeitlang zu, wie sie, auf dem Betonboden hockend, klappernd die großen Schüsseln mit kaltem Wasser abspritzte, die kleinen, nackten Füße in viel zu großen, schwarzen Gummischlappen. Als sie sich erhob und in meine Richtung sah, winkte ich ihr zu und lächelte sie breit an. Aber sie senkte den Blick und lief schnell in die Hausmeisterwohnung hinein.
Zehn Tage vor Schulbeginn, es war Mitte September, wurde mir abends schlecht, und am nächsten Morgen hatte ich Fieber. Ich blieb im Bett, übergab mich ein paar Mal, und nach drei Tagen war ich wieder fit und legte mich erst mal an den Pool, um an meinem bronzenen Spätsommerteint für den Schulanfang zu arbeiten. Fast alle, die das letzte halbe Jahr weg waren, waren wieder da. Nur Angela, die mit ihrer Mutter und den Schwestern in Paris bleiben würde, Carmen, deren Vater sich nach Kapstadt hatte versetzen lassen, und einige wenige andere waren nicht zurückgekehrt. Wessen Eltern sich nicht in der ganzen Aufregung getrennt oder politisch nichts zu befürchten hatten, war wieder da.
Ich freute mich sogar auf die Schule. Eigentlich aber nur, weil ich den Schrank voll hatte, die neuen Sachen mussten vorgeführt werden.
Wenige Tage vor Schulbeginn wurde mir erneut schlecht, ich hatte wieder Fieber und legte mich wieder ins Bett, hohes Fieber gepaart mit Übelkeit vertrieb meine beschwingte Schulanfang-Laune.
Meine Mutter hatte die Tampons-Sache noch nicht ganz überwunden, war aber sehr in Sorge, als ich aus dem Bad zurück in mein Zimmer schwankte und bei 35 Grad im Schatten kalten Schweiß auf der Stirn hatte.
Sie rief meinen Vater an, und der sagte, ich hätte mich sicher in nassen Badesachen am Pool erkältet.
Abends kam er in mein Zimmer und untersuchte mich, er klopfte mich ab, horchte meine Lunge ab und leuchtete mir in die Augen.
Sein Gesicht verzog sich: »Scheiße«, sagte er zu meiner Verwunderung. »Deine Augen sind ganz gelb. Du hast Gelbsucht.«
»Iiih. Was heißt das?«
»Ich muss Blut abnehmen. Möge Gott uns davor bewahren, dass du Hepatitis C hast. Dann hast du einen Leberschaden fürs ganze Leben. Ein Hundeleben …«
Er holte Nadel und Kanüle, ich schrie ein bisschen herum, weil das einfach dazu gehörte, wenn man eine Spritze bekommt, fand ich.
Meine Mutter saß neben mir und hatte ein halb besorgtes und halb angepisstes Gesicht.
»Wo hat sie das bloß her?«
»Aus meiner Praxis wahrscheinlich, da war ein Kind mit Gelbsucht, aber Gelbsucht ist nur über Blut und Speichel übertragbar!«
Mein Vater schüttelte den Kopf. »Das kann eigentlich gar nicht sein!«
Mir war alles egal. Und mir war schlecht. Ich wollte nicht Gelbsucht haben. Gelbsucht war eine uncoole Krankheit. Das ging ja gleich wieder super los.
Mein Vater brachte mein Blut sofort in ein Labor und schüttelte die Angestellten dort so lange, bis er das Ergebnis gleich bekam. Die Laborwerte sagten ganz klar: Hepatitis B, eine heilbare Form, nicht die chronische Version, die C. Aber die Aufregung war dennoch riesig. Gelbsucht galt als lebensgefährliche Seuche, und eigentlich hätte ich deswegen im Krankenhaus liegen müssen, aber mein Vater verachtete alle persischen Spitäler, das waren seiner Meinung nach schmutzige Saftläden, in denen man an allem sterben könne. Er wollte mich zu Hause behandeln. Mir war das recht. Krankenhaus kam sowieso nicht in Frage, und schon gar kein persisches Krankenhaus. Entweder mein Vater bekam das wieder hin oder ich starb eben, aber zu Hause in meinem Bett. Ich hatte
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