Hinter dem Mond
floss, aber mein Vater brauchte nach Feierabend seine zwei bis drei kalten Biere, da war er ganz deutsch.
Als ich endlich wieder aus dem Haus durfte, wässerte meine Großmutter gerade ihren Garten und sah mich verwundert an, als wäre ich mein eigener Geist, nur weil ich in einer Jeans und T-Shirt mit meiner Mutter ins Auto steigen wollte. Sie hatte mich drei Wochen lang nur liegend in einer ausgeleierten Schlafanzughose gesehen.
»Maschallah«, sagte sie erfreut. Und dann beschwerte sie sich darüber, wie dünn ich aussah, und dass wir jetzt natürlich aus Dankbarkeit ein Opfer bringen müssten. Sie sagte: »Ghorbuni.«
»Was ist ghorbuni, Mama?«
»Na, ein Lamm schlachten«, sagte die eiskalt und fuhr durch die Einfahrt.
»Nein! Kein Lamm soll sterben! Nein! Das will ich nicht!«
»Das macht man so, alle wissen, wie krank du warst, wir müssen ein Lamm schlachten, die Leute warten darauf. Als Dank, dass du wieder gesund bist.«
»So ein Scheiß! So ein beschissener Scheiß!«
Meine Mutter hatte vor dem Supermarkt geparkt und stieg aus.
»Was kann das arme Lamm dafür, dass ich Arsch krank geworden bin?«
»Leily, rede nicht so viel Unsinn.« Meine Mutter hatte keine Lust auf diese Diskussion.
Ich war wütend, traurig und verzweifelt. Und was hatten »die Leute« mit meiner Gelbsucht zu tun?
Zwei Tage später war ein Freitag, und unten in unserem Garten war ein niedliches schwarzes Schaf angebunden. Ich konnte nicht runtergehen. Aber ich schaute vom Balkon verstohlen nach unten. Mein Vater war da mit einem Mann, er streichelte das Schaf. Dann nahm der Mann das Schaf, und ich sah das Tier zappeln, und auf einmal war der ganze weiße Marmor im Garten meiner Großmutter voller Blut. Plötzlich sah ich etwas Schreckliches, das ich nie vergessen werde: Das Schaf rannte im Garten herum, blutverschmiert und ohne Kopf.
Ich warf mich auf mein Bett und heulte laut.
Wie ich diesen beknackten Brauch hasste. Ich hatte vorgeschlagen, in den Slums Geld zu verteilen, aber meine Großmutter wollte unbedingt vor den Leuten mit der Geste einer pompösen Opferschlachtung für die Genesung der Enkelin abposen. Meine Großmutter verteilte das Fleisch an unsere Nachbarn und an die ganze Familie. Für die Armen, für die das Opfer gedacht war, blieb nicht wirklich etwas übrig.
Es wurde Zeit, endlich wieder in die Schule zu gehen, sonst würde ich durchdrehen. Ich war zwei Wochen zu spät, noch etwas weiß um die Nase und hatte meine Schule und viele Mitschüler seit neun Monaten nicht mehr gesehen und war zu meiner eigenen Schande auch noch ziemlich aufgeregt.
Die Klasse war doch etwas geschrumpft, viele waren aus Deutschland nicht mehr zurückgekehrt. Aber es war eine brodelnde Stimmung in der Schule, sogar unsere Studienräte waren nicht so ruhig und gelassen wie sonst, denn es ging das Gerücht um, die Schule müsste Jungen und Mädchen demnächst getrennt unterrichten, da die islamische Regierung das jetzt so verlangen würde. Gemischte Schulen waren plötzlich nicht mehr erlaubt. Unsere Lehrer waren alle sehr beunruhigt und engagiert bei dem Thema, und ich lernte ein neues Wort: Koedukation.
Der Tag, an dem die Trennung der Geschlechter in der Schule vollzogen wurde, war schrecklich. Aus unseren drei mittelgroßen achten Klassen waren zwei große geworden. Eine Jungs- und eine Mädchenklasse. Die Jungs hatten die untere Hälfte der Schule bekommen, also den Teil, wo die kleinen Bungalows standen, der an den Bushof angrenzte. Wir waren im oberen Teil, wo die schicken, zweistöckigen Fertigblocks aus Deutschland und die alteVilla, das Hauptgebäude, standen. Und wir hatten den Pool bei uns oben, die Jungs dafür unten die Turnhalle. Die Grenze war an diesem ersten Tag noch mit Fahrradständern markiert. In der ersten großen Pause rannten wir alle sofort zu den Fahrradständern, quetschten uns zusammen, um uns mit den ebenfalls zusammengequetschten Jungs unterhalten zu können. Paare hielten sich an den Händen, es war alles sehr dramatisch und sehr unglaublich und erinnerte mich an Dokumentationsfilme über die DDR, die wir im Geschichtsunterricht gesehen hatten.
Makrabrerweise waren, wie in DDR-Filmen, am nächsten Tag Arbeiter damit beschäftigt, an Stelle der Fahrradständer mit braunen Ziegelsteinen eine hohe Mauer hochzuziehen. In die Mauer war eine Tür eingesetzt, die nach der sechsten Stunde geöffnet wurde, damit wir Mädchen durch den Jungsbereich zum Bushof laufen konnten, um uns dann dort wieder mit den
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