Hinter dem Mond
Meine Mutter schob alle freundlich raus und kam zu mir, zog mir mein Shirt aus und sagte: »Warum sind das solche Esel und können einen nicht einfach in Ruhe lassen?« Einige Tage später kam meine Großmutter mit einem großen Glasbottich in mein Zimmer. In dem Glasbottich war Wasser, und in dem Wasser schwammen graue Fische. So grau und groß wie Ölsardinen.
»Sie muss die jetzt ganz schlucken«, erklärte meine Großmutter meiner staunenden Mutter. »Die Fische essen die Viren in ihrem Körper auf. Das ist das einzig richtige Heilmittel bei Gelbsucht.«
Ich hielt mich fassungslos an meiner Infusionsstange fest.
»Kannst du die ganz schlucken?«, fragte mich meine Mutter dann auch noch.
»Sie müssen lebendig geschluckt werden! Nicht kauen!« Meine Großmutter war ganz begeistert. Wo hatte sie bloß die Fische her?
Ich fing an zu schreien und zu heulen.
»Mama, Mama, tu die Fische weg … Mamaaaaaaaaa …«
Ich konnte mich gar nicht mehr beruhigen. Die Fische ekelten mich so dermaßen, und die Vorstellung, einen davon in den Mund nehmen zu müssen, ließen mir noch Wochen danach die Tränen in die Augen schießen.
»Wenn ihr so weitermacht, sterbe ich bald«, stöhnte ich, nachdem meine Mutter sich bei meiner Großmutter für mein unflätiges Verhalten entschuldigt, sich für ihre großartige Fisch-Idee bedankt und sie verabschiedet hatte.
»Es tut mir leid«, sagte meine Mutter, »das war jetzt wirklich zu viel …«
»Die ist verrückt!«, rief ich matt, »wer schluckt denn lebendige Fische?«
»Doch, doch … das ist schon richtig, dass diese FischeViren vernichten, aber die müssen winzig sein, diese Fische waren viel zu groß, um lebendig geschluckt zu werden.«
Nach zwei Wochen war ich fast wieder fit, zwar aufgrund der vollkommen fettfreien und leberschonenden Diät meines Vaters komplett abgemagert, aber meine Augen waren nicht mehr gelb und meine Blutwerte fast normal. Mein Vater, der Held, hatte mich in kürzester Zeit gesund behandelt. Ich war sehr stolz, dass ich so ein guter Patient war, und mein Vater war auch zufrieden. Er und die anderen Ärzte in der Familie hielten mir jetzt ununterbrochen Vorträge darüber, dass ich auf keinen Fall etwas Fetthaltiges zu mir nehmen dürfte und nie, niemals in meinem Leben Alkohol trinken, denn meine Leber würde das nicht mehr verkraften, da so eine Gelbsucht die Leber für immer schädigt. Meine Mutter grillte jeden Tag einen Spieß Filet für mich, mit Salat und Reis, ohne Butter. Ansonsten aß ich Toast mit Honig, auch ohne Butter. Leider war ich buttersüchtig und liebte es, alles mit extraviel Butter zu essen. Essen ohne Butter fand ich deprimierend und langweilig. Also aß ich nur das Nötigste und bestand nur noch aus Haut und Knochen.
Aber das fand mein Vater nicht besorgniserregend. Er hatte nur diese Alkohol-Panik.
»Nee, trinke ich nicht …«, sagte ich immer desinteressiert. Ich mochte überhaupt keinen Alkohol. Mein Vater trank jeden Abend mehrere Bier, dessen Geruch ich total eklig fand, meine Mutter liebte französischen Cognac, der brannte schon so schlimm in meiner Nase, dass ich gar nicht kosten wollte. Und ansonsten tranken meine Eltern und ihre Gäste immer sehr viel Wodka, egal ob es Kaviar gab oder nicht. Davon hatte ich einmal aus Versehen einen Riesenschluck aus einem Glas genommen, weil ich dachte, es wäre Wasser. Es hat grauenvoll geschmeckt, und meine Geschmacksnerven waren stundenlang danach betäubt. Das Einzige, was ich wirklich gerne trank, war Eierlikör, aber den hatten wir in Teheran nicht mehr. Ich hatte früher in Deutschland immer die Eierlikör-Flaschen meiner Eltern ausgeschleckt, und dann leicht angeschäkert »Ei, ei, ei – Verpoorten!« gesungen.
Alle Säufer in meiner Umgebung warnten mich also ständig und eindringlichst vor Alkohol.
Mein Vater hätte mich genauso vor Heißluftballonfahrten warnen können. Alkohol war überhaupt nicht mein Thema, aber dafür seins, da es seit der Revolution und Chomeinis Machtübernahme auch keinen mehr zu kaufen gab. Alkohol gehörte zu den ersten Dingen, die von der neuen Regierung verboten wurden, und die Erwachsenen litten sehr darunter. MeinVater hatte angefangen, sich im Keller meiner Oma eine eigene kleine Brauerei einzurichten, in der er mit Hilfe von Gerstensaft und Hefe sein eigenes Bier herstellte, was angeblich stark und köstlich war. Auf dem Schwarzmarkt gab es harte Sachen wie Wodka und Whisky zu kaufen, was auf den heimlichen Partys in Strömen
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