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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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einige Krankenhäuser von innen gesehen. Selbst die privaten waren entsetzlich schäbig, um jeden Kranken scharte sich die ganze Sippe, und alle schrien wild durcheinander, hatten übelriechendes Essen dabei, und der Kranke klagte oft auch noch laut, so als würde man ihm bei lebendigem Leibe ein Bein amputieren. Krankenhaus im Iran war die Vorstufe zur Hölle.
    Jetzt hatte ich neben meinem Bett eine Metallstange stehen, an der eine Infusionsflasche hing, Mr Molly leistete mir Gesellschaft, und meine Mutter brachte mir Hühnerbrühe, frisch gepressten Orangensaft und Haferbrei.
    »Ich ess das nicht mit Wasser. Ich will mit Milch und Zucker.«
    »Du darfst aber keine Milch. Du sollst kein Fett essen. Die Milch ist zu fett.«
    »Egal. Ich esse das nicht.«
    Ich drehte mich zur Wand und schloss die Augen.
    »Stell dich nicht so an! Du bist krank! Kranke essen, was sie essen müssen.«
    »Geh weg und lass mich einfach sterben.«
    Sie brachte mir Haferbrei mit Milch und Wasser gemischt, denn es gab damals keine fettarme Milch im Iran. Sie brachte mir Zwieback mit Honig und Reis mit Huhn. Aber ich ließ alles unberührt, ich mochte gar nichts essen.
    Meine Mutter schrie herum, ich müsste essen, sonst würde ich nie wieder gesund, und nervte mich immens. Sie petzte bei meinem Vater, und der schloss gleich eine zweite Flasche an meine Infusionsnadel und meinte nur, mit einem Blick auf mich: »Künstlich ernähren.«
    Ich war zu schwach, um zu protestieren. Auch um fernzusehen, zu lesen oder Musik zu hören. Ich wollte nur liegen und die Augen zu haben und bald sterben.

    Leider ist es im Iran üblich, einen Kranken möglichst oft zu besuchen. Ihn nicht zu besuchen, ist unhöflich und ein Schlag ins Gesicht für die ganze Sippe.
    Also hatten wir fast die ganze Zeit Besuch. Draußen vor meinem Zimmer war immer Party, meine Mutter musste Tee, Wassermelone, Obst und Gebäck anbieten, Fragen beantworten und mich trösten. Meine Großmuter kam leider jeden Tag mindestens einmal nach oben und hatte immer neue merkwürdige Tipps, wie man die Gelbsucht aus meinen Körper vertreiben könnte.
    Meine Tante kam leider auch mit der hohlen Susan im Schlepptau, die man aber zum Glück wegen Ansteckungsangst nicht in mein Zimmer ließ.
    Jedes weibliche Familienmitglied schrie meine Mutter an, sie sollte mir doch endlich eine Limu Shirin auspressen, denn der Saft dieser speziellen Zitronen, die es nur in Persien gibt, war und ist für Perser das Wunderheilmittel schlechthin. Limu Shirin heißt übersetzt süße Zitrone, denn Limu ist die Zitrone und Shirin heißt süß und ist auch ein Mädchenname. Jedenfalls hasste ich den indifferenten Geschmack dieser Zitrusfrucht abgrundtief. Sie war auch nicht wirklich süß, sie schmeckte fad, eine Mischung aus bitter und staubig.
    »Das trinkt sie doch nicht«, sagte meine Mutter genervt. Ihr ging die Hysterie der Familie auf die Nerven. Sie wusste, dass ich bei meinem Vater in den besten Händen war und zum Glück auch, dass Vitamin C bei Gelbsucht nicht half, wollte aber keine zermürbende Diskussion mit den Frauen.
    Einmal kam meine Tante mit einem Riesenglas in mein Zimmer, randvoll mit dem trüben, hellgelben, ekligen Saft, und sagte, ich sollte es bitte, bitte bei ihrem Leben, trinken.
    »Niemals«, schnaubte ich kalt und hart.
    »Bei meinem Leben! Bei Gott, Lilly, trink das bitte für mich! Trink das bei meinem Leben!«
    Ich wandte mich angeekelt ab und sagte nichts mehr. Ich schämte mich für meine Tante und für mich, die solche Verwandte hatte.
    Es gab einen harten, erbitterten Kampf, den ich vor Schwäche und weil ich in der Unterzahl war, verlor. Meine Tante schrie dauernd: »Bedjune man! Bedjune man! Bei meinem Leben! Bei meinem Leben!«
    Und meine Mutter war natürlich, nur um nicht unhöflich zu sein, auf der falschen Seite: »Lass die Hand deiner Tante jetzt nicht müde werden! Trink das!«
    Ich nahm zu Tode angewidert das Glas und nippte vorsichtig daran. Sofort Geschrei von allen Seiten: »Trink es aus! Los, trink es aus!«
    Ich hielt mir die Nase zu und trank es aus. Das Glas war noch nicht leer, da kam mir die ganze Brühe wieder hochgeschossen, und ein Riesenschwall Saft, genauso frisch und hellgelb, wie er noch war, bevor er kurz meinen Magen betrat, spritzte aus meinem Mund heraus und besudelte mich, mein Nachthemd, das ganze Bett und die Infusionskabel. Tante und Großmutter sahen mich entsetzt an. Es war mir einfach wieder hochgekommen, na und, ich konnte nichts dafür.

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