Hinter dem Mond
in die Realschule, was ich ziemlich schockierend fand. Realschule war ja bei uns zu Hause genauso verpönt wie Leberzirrhose und Dosenfutter.
Wir waren gemein zu der armen Sarah, die sich gegen uns überhaupt nicht wehren konnte, obwohl sie zwei Jahre älter war. Sonja liebte es, ihr bei jeder Gelegenheit entgegenzuschleudern, dass sie fett und hässlich sei. Und dass sie nie einen Jungen finden würde, der bereit wäre, sie zu küssen. Ich grinste hämisch dazu. Dann lachten wir uns schlapp, gingen in Sonjas Zimmer, machten laut Supertramp »Breakfast in America« an und schminkten uns ausgiebig vor Sonjas Schminktisch. Sonja hatte einen großen Haufen nach Kaugummi riechenden Teenager-Schminkkram aus Amerika von Dee und dazu viele Bänder, Silberdraht, einen Lötkolben und eine riesengroße Perlensammlung. Wir machten im Prinzip nichts anderes, als Musik zu hören, uns zu schminken, dünne Zöpfe mit bunten Bändern in unsere langen Haare zu flechten oder Perlenohrringe aus Silberdraht zu basteln und die Bravo und Mädchen zu lesen. Wir waren beide ziemlich eingebildet und uns unserer Wirkung und Schlagfertigkeit komplett bewusst. Diese Mischung brachte uns dazu, die meiste Zeit überheblich über die anderen zu spotten und sie zu verunsichern.
Die Stimmung hatte sich bei uns auf der Oberstufe durch die Trennung der Geschlechter immens aufgeladen. Plötzlich war alles, was sich hinter der Mauer auf dem für uns vormittags verbotenen Teil der Schule befand, hochinteressant. Sogar die langweiligsten Jungs, neben denen man sonst stumpf das ganze Jahr in der Klasse gesessen hätte, bekamen durch die Abgegrenztheit und das Verbotene eine besondere Faszination und ein romantisches Flair. Sonja und mir kam unsere Jungs-Parallelklasse unglaublich verheißungsvoll vor, die 8 m war in unseren Augen voller hübscher Jungs. Man wusste nicht, in welchen man sich zuerst verlieben sollte.
Wenn nach dem Klingeln nach der letzten Stunde einer der Schulwarte die Tür aufgeschlossen hatte, spazierten wir Mädchen mit wehenden Haaren, frisch aufgetragenem Lipgloss und wackelndem Hintern an den schon Spalier stehenden Jungs vorbei.
Eine kurze Dreiviertelstunde blieb uns, bis unsere Busse losfuhren, und so musste die Zeit entsprechend genutzt werden. Ich sah die anderen flirten, posen, sich verabreden, Telefonnummern und bespielte Kassetten austauschen, an Busfenster klopfen, sich jagen, schubsen und zum Schluss noch wild aus den Bussen winken. Ich stieg allein in meinen Bus zu den anderen Langweilern, die wie ich in der uncoolen Stadtmitte wohnten, und langweilte mich mit mir selbst, bis wir losfuhren und ich mir aus dem Fenster die hässlichen Straßen Teherans ansehen konnte.
Wir waren in der Achten alle zwischen vierzehn und fünfzehn, an der Deutschen Schule hatte bis dahin fast jeder einmal eine Ehrenrunde gedreht. Wer noch nie sitzengeblieben und deshalb erst dreizehn war, war zu uncool, um überhaupt eine Rolle zu spielen.
Deshalb warteten die älteren der Jungs aus der Parallelklasse darauf, dass wir nach der sechsten Stunde nach unten liefen, um uns auf dem Weg zum Bushof zu hänseln und gemeine Sachen hinterherzurufen. Vor allem mir und Sonja, wenn sie mit zu mir kam und nicht vom oberen Schultor die wenigen Meter zu Fuß nach Hause lief.
»Sonja Bohnenstange und Titten-Lilly«, riefen sie uns hinterher. Oder: »Passt auf, wir sind notgeil.«
Wir wurden dann immer unglaublich verlegen, riefen aber: »Haut ab, ihr Arschlöcher!«
Oft riefen sie auch irgendwelchen Schweinkram auf Persisch, auf den wir gar nicht kontern konnten, weil er einfach zu versaut war.
Wenn die Jungs Schwimmunterricht hatten, mussten sie auf ihrer Seite des verschlossenen Tors warten, bis der Sportlehrer kam und aufschloss. Dann marschierten sie hinter dem Sportlehrer durch die Öffnung, während wir an unseren Klassenfenstern die Hälse reckten, als hätten wir noch nie Jungs gesehen.
Die Umkleidekabinen des Schwimmbads hatten Belüftungslöcher, die wir einmal zufällig entdeckten, und vom Balkon der Hauptvilla konnte man, wenn man sich am Geländer festkrallte und raushängte, ziemlich weit hineinsehen. Sonja und ich hatten Freistunde, wenn die Jungs Schwimmen hatten, also versteckten wir uns vor der Lüftung, und Sonja krallte sich an der Mauer fest und starrte durch die Schlitze. Ich stand unter ihr und hatte Angst, dass uns jemand dabei sehen könnte.
Plötzlich gab Sonja einen komischen Laut von sich und ließ sich auf die Brüstung
Weitere Kostenlose Bücher