Hinter dem Mond
Jungs zu vermischen und dann gemischt in den Bussen nach Hause chauffiert zu werden. Die Anbaggerei fand nun weniger vormittags statt, wo wir getrennt waren, sondern nach der Schule, wo wir wieder zusammenkamen. In dem Jahr war also diejenige Königin, in deren Bus sich gutes Jungsmaterial befand. Die Glücklichen konnten sich den ganzen öden Unterrichtstag auf eine Stunde Flirt und Anmache während der Heimfahrt freuen.
In meinem Bus saßen natürlich nur verpickelte Idioten, die immer früh die Fensterplätze besetzten und dann während der gesamten Fahrt wortlos hinausstarrten. Es gab für mich auch an dieser Stelle keinen Grund zur Freude.
Immerhin gab es durch das Zusammenlegen neue Mädchen. Leider waren die meisten uninteressant, Streberinnen oder Wichtigtuerinnen, die die ganze Zeit über ältere Jungs redeten. Nur eine hatte schöne, immer frisch gewaschene, nach Apfelshampoo duftende Haare, lang, glatt und nussbraun, eine tolle Figur, hohe Wangenknochen und lustige Sommersprossen, und sie lachte immer laut, wenn jemand, also meistens ich, etwas Komisches sagte. Sie war lustig und blödelte viel, was außer mir niemand machte, seit die Jungs weg waren. Mädchen waren einfach total langweilig und nie lustig.
Sonjas Eltern waren geschieden, sie hatte das letzte halbe Schuljahr bei ihrer deutschen Mutter in Würzburg verbracht und lebte jetzt wieder mit ihrem iranischen Vater und seiner neuen amerikanischen Frau in Teheran. Sonja wurde schnell meine beste Freundin, und wir hingen nonstop zusammen, vormittags in der Schule, danach kam sie entweder mit dem Bus zu mir, oder wir gingen zu ihr. Lustigerweise wohnte auch Sonja ganz nah an unserem oberen Schultor und nur wenige Meter von Angelas Villa entfernt. Sonjas Haus war nicht so schön und elegant wie das von Angela, aber anders als bei Angela ging es dort immer sehr frei und fröhlich zu. Sonjas Stiefmutter Dee war erst achtundzwanzig Jahre alt und sah original aus wie eine Monster-Barbie. Sie war sehr groß mit sehr langen, hellblonden Haaren. Und sie hatte eine kleine Tochter von Sonjas Vater und war schon wieder schwanger. Ihr dicker Bauch machte mir Angst, weil ich mir vorstellte, wie es darin aussah. Sonjas Vater hatte Dee in Amerika kennengelernt und war genau das Gegenteil von ihr: klein, kahl und immer ziemlich schlecht gelaunt. Zum Glück war er nie da, auch Dee war selten zu Hause, wir waren immer mit Sonjas älterer Schwester Sarah und dem Hausmädchen allein. Das einzige Mal, das ich Dee in der Küche stehen und etwas für uns kochen sah, öffnete sie drei verschiedene amerikanische Dosen mit dem elektrischen Dosenöffner, vermischte den Inhalt in einer Schüssel und stellte es uns einfach auf den Tisch. Ich war fassungslos! Wir aßen bei uns zu Hause nichts aus der Dose, weil meine Eltern Konservierungsmittel hassten, und schon gar nicht direkt aus der Dose auf den Teller!
Leider konnte auch ihr Hausmädchen überhaupt nicht kochen, alle ihre Gerichte fanden wir immer ungenießbar, deshalb aßen wir nach der Schule lieber nur frisches, knuspriges Naan mit Butter und Honig.
»Wozu kocht sie denn überhaupt, wenn wir das nie essen?«, fragte ich beim Anblick der unangerührten Platte Reis mit Rosinen und Hackfleischklumpen. Dee aß auch nur ihr komisches amerikanisches Zeug aus dem amerikanischen Supermarkt.
»Mein Vater isst das, wenn er nach Hause kommt«, sagte Sonja mit ihrem leicht fränkischen Dialekt. »Der will unbedingt Persisch essen, und Dee kann ja nicht Persisch kochen.«
»Aber das ist kein persisches Essen …«
»Ach, das ist doch meinem Vater egal. Das merkt der gar nicht, dem schmeckt das.«
Ich war sehr erstaunt. Mein Vater war ein richtiger Tyrann, was Essen anging. Wehe, wenn der Reis eine Minute zu lang oder zu kurz im Topf war, oder bei einem Gericht die Konsistenz der Soße nicht stimmte. Er hasste zu wässrig und er hasste zu dickflüssig. Er hasste zu stark und er hasste zu schwach gewürzt. Wenn es nicht genau seinen Vorstellungen entsprach, flippte er regelrecht aus, meckerte rum und beleidigte meine arme Mutter. Und verkündete dann zum Schluss: »Koch das nie wieder!«
Dabei schmeckte mir das Essen meiner Mutter fast immer, obwohl ich sonst fast nirgendwo etwas aß.
Das Essen von Sonjas Hausmädchen hätte er jedenfalls nicht angerührt.
Sonjas Schwester Sarah hatte ein schweres Schicksal: Sie war genau das Gegenteil von Sonja. Sie war dick, plump, uncharmant, etwas langsam und nicht die Hellste. Sie ging
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