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Hinter der Nacht (German Edition)

Hinter der Nacht (German Edition)

Titel: Hinter der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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absolut
nichts ein. Mit Einsamkeit kannte ich mich nicht aus. Ich hatte immer viele
Freunde, und in Glasgow ist man eigentlich nie allein, wenn man es nicht will.
Schließlich kam ich auf die Idee, dass ich irgendwohin fahren müsste, wo es wirklich einsam war. Also packte ich meinen Rucksack, kaufte mir ein Busticket und fuhr
los. Mein Ziel waren die Äußeren Hebriden, wahrscheinlich der menschenleerste
Ort, den man in Schottland finden kann, und so landete ich auf North Uist.“
    Ich merkte, wie
mein Herz anfing, schneller zu schlagen. Was Mike dachte, konnte ich dagegen
nicht erkennen. Seine Miene war unbeweglich, aber er wandte keinen Blick von
seinem Vater.
    „Ich hatte eine
gute Wahl getroffen. Der einzige größere Ort auf dieser Insel war Lochmaddy, wo
auch die Fähre anlegte, aber selbst in dieser Hafen‚stadt’ gab es weder ein
Geschäft noch irgendeine Art von Gaststätte oder Hotel. Dort wohnte nur eine
Handvoll Menschen. Ich sprach einen Mann an, und er erklärte mir, dass es auf
der anderen Seite der Insel eine Jugendherberge gebe, wo ich übernachten könne,
und zeigte mir, wo ich auf den Postbus warten könnte, der mich dorthin brächte.
Eine andere Transportmöglichkeit gab es nicht, und auch der Postbus fuhr nur
zweimal am Tag. Wenn man ihn verpasste, musste man eben laufen.
    Eine
Jugendherberge entsprach eigentlich nicht meiner Vorstellung von Einsamkeit,
aber ich änderte meine Meinung, als ich das kleine windschiefe Gebäude
erblickte. Es war ein altes schottisches Bauernhaus, mit weißen Wänden und
Reetdach, und es stand mutterseelenallein mitten im Nichts. Der Bus war
stundenlang durch eine unglaublich eintönige Landschaft gefahren, die aus
nichts als Wasser und Gras zu bestehen schien, die scheinbar fließend
ineinander übergingen, bevor mich der Fahrer schließlich an einer einsamen
Straßenkreuzung ausgeladen hatte. Nach einem weiteren Fußmarsch von etwa einer
Stunde, in der ich schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, die besagte
Jugendherberge doch noch zu finden, hatte ich dann plötzlich vor dieser Kate
gestanden. Und tatsächlich, das dreieckige SYHA- Schild neben der
Eingangstür ließ keinen Zweifel: dies war tatsächlich die Jugendherberge. Auch
wenn sie ganz und gar nicht meinen Vorstellungen von einem solchen
Etablissement entsprach. Die Jugendherbergen, die ich bisher, in Ferienlagern
oder mit der Schule, bereist hatte, sahen jedenfalls ganz anders aus. Und vor
allem hatte es dort stets von Menschen gewimmelt. Diese hier dagegen war
absolut menschenleer. Außer mir.
    Ein Ruckeln an
der Türklinke, und die Tür öffnete sich. Das Innere bestand aus genau zwei
Räumen: einem Schlafraum mit vier quietschenden Etagenbetten mit durchgelegenen
Matratzen und einer Art Wohnküche, an deren Seite ein kleiner Metallofen stand.
Eine Mappe auf dem wackeligen Holztisch in der Mitte enthielt die Regeln für
diese Unterkunft.
    Da es inzwischen
recht kühl geworden war – es war zwar Hochsommer, August, aber hier in
Schottland hat das ja nicht viel zu sagen – widmete ich mich zunächst dem
Kapitel „Heizen“. Das Heft klärte mich darüber auf, dass der Ofen mit Torf
beheizt wurde, und dass stets ein Vorrat davon in einem kleinen Verschlag an
der Hinterseite des Gebäudes aufbewahrt wurde. Im Zwielicht ging ich noch mal
raus und kehrte dann mit einigen Torffladen beladen zurück. Die nächsten zwei
Stunden verbrachte ich damit, zu versuchen, das Zeug zum Brennen zu bringen. Es
war zwecklos, und so gab ich irgendwann entnervt auf. Kochen fiel damit auch
aus, mal davon abgesehen, dass ich außer ein paar Teebeuteln sowieso nichts
Brauchbares dabei hatte, und so rollte ich mich auf einem der Betten in meinen
Schlafsack und zitterte mich in den Schlaf.
    Ihr seht, ich
war nicht gerade das, was man einen erfahrenen Abenteurer nennt. Ich suchte
zwar die Einsamkeit, hatte aber nicht damit gerechnet, dass ich sie tatsächlich
finden könnte.“ Er grinste einen Moment selbstironisch.
    „Naja, wie dem
auch so, selbst mir war am nächsten Morgen klar, dass ich so – ohne Proviant
und ohne Heizung – nicht lange durchhalten würde, und ich beschloss, mich
zurück nach Lochmaddy zu begeben in der Hoffnung, dort etwas Essbares
aufzutreiben. Schließlich mussten die Einheimischen ja auch von irgendwas
leben. Also schulterte ich wieder meinen Rucksack, wobei ich den Schlafsack und
meine Klamotten liegen ließ – ich wollte ja wiederkommen – und machte mich auf
den langen Weg zurück in die

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