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Hinter der Nacht (German Edition)

Hinter der Nacht (German Edition)

Titel: Hinter der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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meinem Bett. Kein Wunder, dass ihr jetzt bei meinem
Anblick die Kinnlade herunterfiel.
    In dem Moment,
als mir klar geworden war, dass Mike das einzige war, das meinem Leben einen
wenn auch noch so kleinen Rest Sinn gab, wusste ich, dass ich nicht einfach
kampflos aufgeben durfte. Auch, wenn dieser Kampf vermutlich der Schwerste
würde, den ich jemals durchzustehen hatte, weil ich ihn gegen mich selbst
führen musste.
    Mike war
überglücklich, als ich ihn fragte, ob sein Vater etwas dagegen hätte, wenn ich
doch zu ihnen zurückkehren würde, in meinem jetzigen unzurechnungsfähigen
Zustand. Er versicherte mir, dass ich ihnen in jedemZustand willkommen
wäre, und dass Raphael sich sehr darüber freuen würde. Auch, wenn die Worte
„Raphael“ und „Freude“ schon an sich unvereinbar schienen und ich mir dafür in
meinem speziellen Fall erst recht keinen Grund denken konnte, fragte ich nicht
weiter nach.
    Jetzt musste ich
nur noch Amanda davon überzeugen, dass sie mich guten Gewissens allein hier
zurücklassen konnte. Dass das nicht ganz einfach werden würde angesichts ihrer
neu erwachten Mutterinstinkte, war mir klar. Also tat ich alles, was in meiner
Macht lag, um sie von meiner Genesung und wiedergewonnenen Zurechnungsfähigkeit
zu überzeugen. Mit Mikes Hilfe schaffte ich es, mich in einen einigermaßen
dezenten Zustand zu versetzen und meine Habseligkeiten, die Amanda im Laufe
meines Aufenthalts hier zusammengetragen hatte, in meiner Tasche zu verstauen.
Danach machte er eine Krankenschwester ausfindig, die versprach, baldmöglichst
einen Arzt vorbei zu schicken, der meine Entlassungspapiere unterschrieb. Und
dann schärfte ich Mike ein, seinen geballten Charme einsatzbereit zu halten.
Wir würden ihn dringend benötigen, soviel war sicher.
    „Clarissa! Was
hat das zu bedeuten?“ Amanda legte all die mütterliche Empörung in ihre Stimme,
deren sie fähig war. Sie warf Mike, der sich tapfer an meiner Seite hielt,
einen bitterbösen Blick zu. „Ich wusste , dass es ein Fehler war, ihn
hier reinzulassen. Womit erpresst er dich?“
    „Was?“ Ich
schaute meine Mutter verblüfft an.
    „Der hat dich
doch irgendwie unter Druck gesetzt! Das werde ich auf keinen Fall zulassen! Ist
es das Geld? The money? “, fuhr sie ihn auf Englisch an.
    Mike, der
unserem vorherigen deutschen Wortwechsel verständnislos gefolgt war, sah jetzt
genau so erstaunt aus wie ich mich fühlte.
    „Ma! Wovon
redest du? Welches Geld?“
    „Das diese
sauberen Herrschaften bekommen, wenn du bei ihnen wohnst! Geht es euch darum?“
Sie sah aus, als wollte sie Mike gleich an die Kehle springen, und ich wäre am
liebsten im Boden versunken.
    „Amanda! Hör auf
damit! Niemand setzt mich unter Druck! Ich willeinfach hier bleiben!
Und ich bin Mike und seinem Vater wirklich dankbar, dass sie bereit sind, mich
wieder aufzunehmen!“ Zur Bestätigung meiner Worte legte ich demonstrativ meinen
Arm um Mike, und er erwiderte meine Geste. „Die beiden sind wie eine Familie
für mich!“
    Das saß. Ich
sah, wie Amandas Gesicht sich verzog, als hätte sie in eine saure Zitrone
gebissen. „Ich dachte, wir wären eine Familie“, versetzte sie dann spitz
mit einem gekränkten Gesichtsausdruck.
    Innerlich
seufzte ich. Für ihr Selbstmitleid hatte ich jetzt wirklich nicht die Nerven.
Ich bemühte mich, ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor sie völlig auf
stur schaltete.
    „Ja, natürlich
bist dumeine echte und einzige Familie“, beschwichtigte ich sie, was
sie mit einem ungnädigen Schniefen kommentierte. „Aber hier in Schottland ist
Mike wie ein Bruder für mich geworden. Und wenn ich eine Chance haben will, das
alles jemals zu verarbeiten, dann kann er mir am besten dabei helfen. Er
hat doch alles hautnah miterlebt. Bitte, das musst du verstehen!“
    Ich sah es
Amanda an, dass ich ihren Widerstand gebrochen hatte. Gegen meine
psychologische Kriegsführung kam sie nicht an.
    Ironischerweise
hatte ich sie gerade mit dem Argument überzeugt, an das ich selbst am wenigsten
glaubte. Ich glaubte nämlich nicht, dass es irgendeine Chance gab, Ariks Tod
überhaupt „zu verarbeiten“. Als sei er irgendeine Akte, die man nach genügend
langer Bearbeitungszeit schließen kann. Aber genau das war es, was die Leute in
solchen Fällen immer hören wollten. Du wirst das schon verarbeiten. Die Zeit
heilt alle Wunden. Das Leben geht weiter. Alles Bullshit. Leeres Gerede.
    Aber es brachte
mir das, was ich erreichen wollte. Amanda gab nach. „Aber –

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