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Hinter der Nacht (German Edition)

Hinter der Nacht (German Edition)

Titel: Hinter der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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Zivilisation. Zwar hatte ich keine Ahnung, wann
der Bus fuhr, aber das machte mir nichts aus. Ich wollte laufen. Schließlich
hatte ich den ganzen Tag Zeit, und in meinem jugendlichen Leichtsinn dachte
ich, dass ich den Weg bestimmt finden würde.
    Zunächst blieb
ich auf der Straße, doch die schlängelte sich scheinbar planlos kreuz und quer
durch die Landschaft. Also beschloss ich, einfach querfeldein zu laufen. Ich
wusste, dass Lochmaddy in östlicher Richtung lag, und solange ich immer
geradeaus ging, müsste ich es eigentlich finden. Eine Weile ging auch alles
gut. Die Sonne schien, über mir kreischten Möwen, und ich lief zuversichtlich
geradeaus. Zumindest soweit das möglich war. Oft musste ich Umwege machen, denn
immer wieder kreuzten kleinere und größere Tümpel oder Wasserläufe meinen Weg.
Ich begegnete keinem anderen Menschen, und das machte mich sehr zufrieden.
Endlich war ich einsam! Ich lief und lief und achtete nicht besonders auf den
Weg. Die Sonne stieg immer höher, und nach der klammen letzten Nacht war mir
die Hitze richtig willkommen.
    Nach einigen
Stunden anstrengender Wanderschaft, in der meine Füße ganz schön schwer
geworden waren, stand ich plötzlich vor einer Wasserfläche, die viel größer war
als die kleinen Löcher, die bisher meinen Weg gekreuzt hatten. Da ich schlecht
übers Wasser laufen konnte, beschloss ich, am Ufer entlang zu gehen und den See
zu umrunden, bis ich wieder nach Osten – oder was ich dafür hielt – abbiegen
konnte. Leicht war das nicht. Immer wieder musste ich über Bäche springen oder
ein Stück in die entgegengesetzte Richtung ausweichen. Außerdem wurde es
langsam merklich kühler und die Sonne verschwand hinter dicken Wolken. Regen
hatte ich eigentlich nicht für mein Outdoorabenteuer eingeplant! Aber ich war
ein harter Mann, da konnte mich etwas Regen nicht entmutigen. Und ich hatte
Glück: gerade als die ersten Tropfen fielen, fand ich Unterschlupf unter einem
einsamen Baum, wo ich es mir einigermaßen gemütlich machte. Ich nutzte die
Zeit, um mich mit einem Müsliriegel zu stärken, den ich noch in meinem Rucksack
gefunden hatte, und wartete auf das Ende des Regens. Doch das kam nicht.
    Ich zögerte so
lange wie möglich, doch schließlich beschloss ich, weiterzulaufen, auch wenn
ich dabei nass bis auf die Haut wurde. Meine Jacke war leider nur für den
Glasgower Großstadtregen ausgelegt und nicht für einen Sturm, wie er mich jetzt
erwischte. Bald triefte alles an mir, und das Wasser stand in meinen Schuhen.
Die Lust an Einsamkeit und Abenteuer war mir gründlich vergangen. Ich hoffte
inständig, bald irgendeine Straße zu kreuzen oder ein Haus zu sehen, wohin ich
mich retten konnte. Doch die nächsten Stunden vergingen ohne das geringste
Zeichen von Zivilisation.
    Als es dunkel
wurde, gestand ich mir die Wahrheit ein, die ich bis dahin erfolgreich
verdrängt hatte: dass ich mich nämlich total verlaufen und keine Ahnung hatte,
wo ich war. Ich stolperte weiter, bis ich die Hand vor Augen nicht mehr sehen
konnte und Gefahr lief, in das nächstbeste Wasserloch zu fallen. Dann machte
ich einfach Halt, wo ich war, sank auf meinem Rucksack nieder und stellte mich
auf die längste Nacht meines Lebens ein.
    Mir war klar,
dass meine Lage nicht gerade rosig war, auch wenn inzwischen zumindest der
Regen wieder aufgehört hatte. Doch ich hatte nichts zu essen und war bis auf
die Haut durchnässt. Und vor allem hatte ich keine Ahnung, wo ich war. Wenn es
morgen nicht besser lief als heute, würde ich ernsthafte Probleme bekommen.
Wenn ich nicht vorher schon an Unterkühlung sterben würde. Oder mich ein wildes
Tier erwischte. Mittlerweile trieb meine Phantasie wilde Blüten.
    Und dann tauchte
auf einmal auch noch Nebel auf. Innerhalb weniger Minuten war ich eingehüllt
von einer dicken Schicht feuchtkalter weißer Watte, die leider überhaupt nichts
Wärmendes hatte.
    Jetzt war ich
wirklich verzweifelt. Wie hatte ich nur so dumm sein können, mich blind in
diese Lage zu begeben? Mein Hochmut stand mir auf einmal klar vor Augen, und
ich gelobte innerlich, nie wieder so arrogant zu sein, wenn mir nur jemand aus
dieser Notlage heraushelfen würde.
    Und plötzlich,
als wäre sie aus dem Erdboden gewachsen, stand ein Mädchen neben mir. Mich traf
fast der Schlag. Erschrocken sprang ich auf.
    In dem milchigen
Dämmerlicht hatte sie etwas Leuchtendes. Ich konnte ihre langen, rotgoldenen
Haare erkennen und ihre zarte, helle Haut sowie ihre meerblauen Augen.“
    Er

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