Hinter der Nacht (German Edition)
und wollte ich mich nicht abfinden.
In den nächsten
Tagen drehten meine Gedanken sich nur um dieses Problem. Wie konnte ich
herausfinden, welche besonderen Fähigkeiten Arik und seine Mutter gehabt
hatten, wenn die beiden dieses Geheimnis mit ins Grab genommen hatten? Ich
verbrachte meine gesamte Freizeit im Internet oder mit der Lektüre von Raphaels
umfangreicher, einschlägiger Bibliothek. Ich konnte an nichts anderes mehr
denken. Hausaufgaben wurden zur Mangelware, genauso wie Schlaf, denn oft machte
ich schon frühmorgens, noch vor der Schule, da weiter, wo ich in der Nacht
zuvor abgebrochen hatte. Natürlich gingen meine Recherchen nicht spurlos an mir
vorüber. Ich hatte dunkle Schatten unter den Augen und fühlte mich permanent
todmüde. Hinzu kamen immer öfter bohrende Kopfschmerzen. Aber trotzdem konnte
ich es nicht lassen. Ich war wie besessen von der Suche nach Ariks Geheimnis.
Alles andere war total unwichtig. Und je weniger ich fand, desto besessener
wurde ich.
Mike war mir bei
alldem keine Hilfe. Dabei müsste es doch genauso in seinem Interesse wie in
meinem sein, Antworten zu finden. Immerhin war er auch ihr So… Oh, Mann! Wie
konnte ich nur so blind sein? Und dabei hatte ich die Lösung die ganze Zeit
direkt vor der Nase!
„Mike!“
„Ja?“ Er schaute
misstrauisch zu mir hinüber. Es war mittlerweile März, und wir waren auf dem
Nachhauseweg von der Schule. Mike war schon seit einigen Tagen ungewöhnlich
still, aber ich beachtete es nicht, so aufgeregt war ich angesichts meines
plötzlichen Geistesblitzes.
„ Du bist
die Lösung!“
Sein
Gesichtsausdruck war nicht gerade intelligent. „Aha?“
„Um
herauszufinden, was mit Arik los war! Schließlich bist du sein Bruder!“
„Ja und?“
Heute war er
aber wirklich schwer von Begriff! Ich rang mühsam um Geduld. „Wenn ihr Brüder
seid, dann musst du doch die gleichen Sachen können wie er!“ Ich sah ihn
triumphierend an.
Leider schien
Mike meine Begeisterung nicht zu teilen. „Was für Sachen?“
Ich wurde
langsam sauer. Wovon redeten wir denn seit Wochen? (Na gut, meistens redete ich ,
aber ihn ging das Thema schließlich genauso an.) „Plötzlich verschwinden zum
Beispiel! Und irgendwie dafür sorgen, dass einem Wochen wie Stunden erscheinen,
oder so!“
„Ach das!
Klar!“, entgegnete er. Irgendwie gefiel mir der Klang seiner Stimme nicht.
„Mach ich ja auch ständig!“ Jetzt wusste ich, was mich störte: der Spott. Seine
Stimme triefte geradezu davon.
„Haha!“, fauchte
ich ihn an. „Ich lach dann später. Im Moment hab ich keine Zeit dafür! Ich hab
nämlich Wichtigeres zu tun! Und wenn du dir etwas mehr Mühe geben würdest,
wären wir den Antworten bestimmt schon ein ganzes Stück näher!“
„Welchen
Antworten denn, Clarissa?“, erwiderte er. Der Spott war verschwunden. Stattdessen
klang er plötzlich ziemlich müde.
„Antworten auf
die Frage, was das Besondere an Arik war! Und an deiner Mutter! Und damit ja
vielleicht auch Antworten auf die Frage, warum sie sterben mussten!“
„Und dann?“ Er
sah mich ernst an.
„Dann?“, echote
ich verblüfft. Was meinte er mit dann ? „Dann wissen wir es!“
„Und dann?“,
wiederholte er ein zweites Mal.
„Dann – keine
Ahnung! Dann – was weiß ich!“ Ich ärgerte mich selbst über mein Gestammel, aber
noch viel mehr über seine Lethargie. „Willst du denn nicht wissen, was los
ist?“
Er schüttelte
den Kopf. „Nein.“
Ich konnte es
nicht fassen. „Aber - warum nicht?“
Seufzend fuhr
Mike den Wagen links ran und hielt am Straßenrand. Dann legte er brüderlich
seinen Arm um mich. „Clarissa, sieh mal.“
Er redete mit
mir wie mit einem kleinen Kind, dem er etwas Unangenehmes erklären musste.
Widerspenstig schüttelte ich seinen Arm ab.
Er sah mich
kopfschüttelnd an, dann lehnte er sich mit verschränkten Armen in seinem Sitz
zurück. „Ich weiß, dass dich Ariks Tod immer noch sehr beschäftigt. Und das ist
auch okay so. Ich meine, ich will ja gar nicht, dass du ihn vergisst oder so.“
Er räusperte sich und suchte sichtlich nach den richtigen Worten. „Aber ich
glaube, es wird allmählich Zeit, ihn – loszulassen. Ihn in Frieden ruhen zu
lassen. Er ist jetzt schon seit Monaten tot. Und nichts kann ihn wieder
lebendig machen. Das musst du endlich akzeptieren. Sonst machst du dich selber
kaputt!“
Ich spürte, wie
etwas in mir brach. Plötzlich war mir eiskalt. „Ich willdas aber nicht
akzeptieren!“, schrie ich ihn an. Ich
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