Hinter der Nacht (German Edition)
Zufall war. Genauso wenig
wie sein Überfall auf ihn im Park. Das hast du doch eben selbst gesagt.
Irgendetwas verbindet ihn mit deinem Vater. - Und ich bin mir ziemlich sicher,
dass Raphael ebenfalls davon weiß.“
Raphael ließ
kaum Überraschung erkennen, als er einige Zeit später die Treppe herunter kam
und uns beide weit vor unserer üblichen Aufstehzeit fertig angezogen im
Esszimmer vorfand.
Mike ging sofort
zum Angriff über. „Ich habe eine Frage.“ Keine Begrüßung, kein Lächeln,
eiskalte Stimme.
Er war wirklich
nachtragend, aber Raphael schien das kaum zu interessieren. Überhaupt sah er im
grauen Morgenlicht ziemlich schlecht aus, fast krank. Blass, mit Schatten unter
den Augen und ungepflegten Bartstoppeln, außerdem abgemagert. Fast noch
schlechter als mein eigenes Spiegelbild. Zum ersten Mal registrierte ich
bewusst, wie leidend er wirkte.
Mike jedoch nahm
keinerlei Rücksicht. „Du hast mich mein ganzes Leben lang von vorne bis hinten
belogen. Aber ich erwarte, dass du mir jetzt verdammt noch mal die Wahrheit
sagst.“ Mit dieser harten, emotionslosen Stimme war er mir fast unheimlich. So
kannte ich ihn gar nicht.
Auch auf Raphael
verfehlte das Auftreten seines Sohns nicht seine Wirkung. Er schien unter Mikes
Worten immer mehr in sich zusammenzufallen und dann warf er ihm einen Blick zu,
aus dem eine tiefe innere Qual sprach. „Mike…“
„Warte“,
unterbrach der ihn rau. „Also, was ich wissen will. – Was hast… - Nein, warte.
Hattest du was mit Arik zu tun? Clarissa meint, dass er dich kannte. Stimmt
das?“ Bei aller Härte hörte man Mike an, dass er vor der Antwort Angst hatte.
Vor meinen Augen
sah ich, wie Raphael einen letzten inneren Kampf ausfocht und dann endgültig in
sich zusammensackte, als sei etwas in ihm, das ihm bis jetzt noch Halt gegeben
hatte, zerbrochen. Dann antwortete er mit tonloser Stimme: „Ja. Das stimmt. Er
- kannte mich.“
Ich hielt den
Atem an und hörte, wie auch Mike scharf die Luft einzog.
Raphael sprach
weiter, wobei er sich hohl wie ein Gespenst anhörte: „Aber ich wusste
nicht, wer er war. Zumindest nicht, bis…“ Er stockte. „Versteht ihr -
ich kannte ihn – nicht so richtig. Nicht als Arik.“ Er sah unsere verständnislosen
Blicke und setzte mit einem Seufzen hinzu: „Er hieß eigentlich Ariel. So wie du
Michael heißt“, fügte er mit einem Blick auf Mike hinzu. „Und…“
Ich hörte
förmlich, wie es in meinem Kopf Klick machte. Klick, klick, klick. Wie
Zahnräder, die ihren Platz gefunden hatten und dort einrasteten. Das Gedicht. Claire
– Michael – Ariel. Raphaels weitere Erklärung überraschte mich nicht mehr.
„…er war mein
Sohn.“
Das Schweigen,
das diesen Worten folgte, war ohrenbetäubend. Ich sah, wie Mike seinen Vater
mit aufgerissenen Augen anstarrte. Wie versteinert. Dann flüsterte er tonlos:
„Das ist nicht wahr! Du lügst! Du elender Lügner!“ Er schüttelte den Kopf, dann
fuhr er mit heiserer Stimme fort: „Du hast mein ganzes Leben kaputtgemacht!
Warum? Warum hast du das getan? Ich hatte eine Familie! Einen – einen Bruder!
Und du hast ihn mir verschwiegen! Und jetzt ist es zu spät! Das werde ich dir nie verzeihen!“
Raphael sah ihn
nur trostlos an. „Ich selbst werde mir das auch nie verzeihen, Sohn“, sage er
müde.
„Warum hast du
mir dann nicht die Wahrheit gesagt?“, schrie Mike ihn an.
„Weil ich es
nicht konnte !“ Jetzt wurde auch Raphael lauter. „Weil ich es ihr
versprochen hatte! Michael darf nie etwas von uns erfahren, Raphael, hörst
du? Das musst du mir versprechen! Niemals! Sonst ist er in tödlicher Gefahr! Und
sie hatte Recht! Du siehst ja, was mit Ariel passiert ist! Und jetzt habe ich
eine Scheißangst, dass diese Typen wiederkommen und dich auch noch holen! Das
könnte ich nicht ertragen! Ich will dich nicht auch noch verlieren!“
Erschütterte
Stille folgte seinen Worten, die er zuletzt mit hörbarer Panik in der Stimme
geschrien hatte. Mike stand da, als wüsste er nicht, wohin. Er durchbohrte
seinen Vater förmlich mit seinem Blick. Raphael stand vor ihm wie der
Verurteilte vor dem Richter, der auf sein Todesurteil wartet. Die Spannung war
mit Händen zu greifen.
Dann jedoch
schien auf einmal etwas in Mike zu reißen, und mit zwei großen Schritten stand
er vor seinem Vater und umschlang ihn mit beiden Armen. Raphael wirkte zunächst
wie eingefroren. Dann jedoch schlang er ebenfalls seine Arme um seinen Sohn,
und dann weinten sie beide.
Ich schlich
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