Hinter der Nacht (German Edition)
beendet hatte. Erst jetzt merkte ich, dass
ich schon eine ganze Weile die Luft angehalten hatte vor lauter Spannung. Das,
was er uns da aufgetischt hatte, war verrückter als alles, was ich je gehört
hatte. Oder mir selbst ausgedacht, und das wollte schon etwas heißen. Doch
obwohl ich wusste, dass er mit solchen Geschichten sein Geld verdiente, glaubte
ich ihm jedes Wort. Denn endlich – ENDLICH! – hatte ich eine Bestätigung für
meine eigenen Beobachtungen bekommen. Es war nicht nur Einbildung
gewesen! Arik konnte es wirklich ! Er konnte wirklichnach
Belieben auftauchen und verschwinden. So wie Claire, seine Mutter.
Die Frage war
nur – wie? Wie machten sie das? Und warum hatte Claire gesagt, dass sie gern bleiben
würde, es aber nicht konnte? Warum war Arik als Baby mit ihr verschwunden und
dann als Fast-Erwachsener ohne sie wieder aufgetaucht? Und wo war sie? War sie
wirklich gestorben, wie er behauptet hatte? Oder war das auch eine Lüge? Aber
wo war sie dann? Warum war sie nicht zu Raphael und Mike zurückgekehrt, als
Arik hier aufgetaucht war? Und noch etwas verstand ich nicht – wenn Arik
gewusst hatte, dass Raphael sein Vater und Mike sein Bruder war – und ich war
mir ziemlich sicher, dass er es zumindest nachher auf jeden Fall gewusst hatte
– warum hatte er sich ihnen dann nicht zu erkennen gegeben? Und warum hasste er
Raphael so sehr, dass er ihn überfiel? Und sogar töten wollte? Mir schwirrte
der Kopf, während die Fragen sich auftürmten wie ein riesiger Haufen.
Erst jetzt bekam
ich mit, dass Mike und Raphael inzwischen das Gespräch fortgesetzt hatten. „Hat
sie gesagt, warum die Wahrheit für mich so gefährlich sein sollte? Wovor hatte
sie Angst? Wer war sie?“
„Ich weiß es
nicht. Wirklich!“ Raphael schüttelte ratlos den Kopf. „Was glaubst du, wie oft
ich darüber nachgegrübelt habe. Wo ich sie überall gesucht habe. Ihretwegen bin
ich hierher in den Norden zurückgekehrt! Ihretwegen reise ich seit 18 Jahren
ruhelos durch die Welt! Immer in der Hoffnung, ihr noch einmal zu begegnen.
Oder wenigstens ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen. – Als ihr Arik zum
ersten Mal erwähnt habt und ich verstand, von wem ihr da geredet habt – wer er
sein musste – hat mich fast der Schlag getroffen!“
„Das habe ich
gemerkt“, murmelte ich. „Du hast gesagt, es sei der Jetlag, aber das habe ich
dir gleich nicht geglaubt.“
Kurz lächelte
er, bevor seine Miene wieder traurig wurde. „Ich war überglücklich, aber gleich
darauf hast du gesagt, dass seine Mutter gestorben ist. Meine Welt wurde im
gleichen Moment neu errichtet und wieder zerstört.“
„Vielleicht war
das ja auch nicht wahr“, wandte ich ein, aber er schüttelte den Kopf.
„Schon gut,
Clarissa. Warum hätte er sonst allein hierher kommen sollen?“
„Er war nicht
gerade – ein Muttersöhnchen“, wandte ich ein. Ich konnte mir durchaus ein paar
Gründe vorstellen, warum jemand ohne seine Mutter in die Welt hinauszog. Aber,
auch wenn es grausam klang - eigentlich war es mir ziemlich egal, ob Claire
noch lebte oder tot war. Mein Interesse galt ausschließlich ihrem Sohn.
„Wie kann jemand
sich in Luft auflösen?“ Mike verfolgte den ursprünglichen Gedanken hartnäckig
weiter.
„Der einzige,
der das außer den beiden konnte, war meines Wissens Harry Potter“, entgegnete
ich. „Und der hatte einen Tarnumhang.“
Raphael ging
nicht darauf ein. „Ein kluger Mann hat mal gesagt, dass es mehr Dinge zwischen
Himmel und Erde gibt, als wir mit unserem Menschenverstand erfassen können.
Claire hat so etwas Ähnliches gesagt, bei unserem ersten Treffen, in dieser
verzauberten Nacht an ihrer Seite, die mir so endlos erschien. Sie hat gesagt,
dass die Menschen noch längst nicht alles wissen über sich und die Welt, in der
sie leben. Ich habe dem damals keine große Bedeutung beigemessen, aber… Naja,
bei allem, was später passiert ist, habe ich natürlich versucht,
herauszufinden, was sie gemeint haben könnte. - Wie ihr wisst, habe ich
durchaus meine Nachforschungen angestellt.“ Mike und ich nickten beide
gleichzeitig mit Blick auf die unübersehbaren Bücherregale. „Und ich habe mich
dabei wirklich an jedenStrohhalm geklammert. Aber leider bin ich
dadurch keinen Deut schlauer geworden.“ Seine Stimme klang resigniert.
Ich war
frustriert. Da war ich dem Geheimnis, das Arik umgab, endlich einen so großen
Schritt näher gekommen – und dann sollte ich an dieser Stelle einfach aufhören?
Damit konnte
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