Hinter der Nacht (German Edition)
grinste. „Na,
du!“
„Ich? Du hast mich getroffen? Das wüsste ich aber. Da hätte ich dich doch auch sehen müssen.“
Nun sah er mich
forschend an. „Hast du das nicht?“
„Nicht, dass ich
wüsste.“
„Ich habe dich jedenfalls
durchaus gesehen. Ist ganz witzig. Du machst dann alles rückwärts.“
Ich war total
verwundert. „Wieso siehst du mich, aber ich dich nicht?“
Auch Mike sah
nachdenklich aus. „Keine Ahnung. Ich kann nur Vermutungen anstellen.“
„Da bist du auf
jeden Fall besser als ich“, frotzelte ich. „Ich kann noch nicht einmal das.“
„Nun, ich
schätze, ich bin vielleicht einfach zu schnell für deine menschlichen Augen“,
meinte er. „Oder dein Gehirn filtert mich einfach raus, weil es der Meinung
ist, dass es so etwas nicht geben darf.“
Davon hatte ich
allerdings auch schon mal gehört. Offensichtlich filterte das Gehirn einen
Großteil der Sinneswahrnehmungen, die ständig auf einen einprasselten, heraus
und ließ nur die ins Bewusstsein dringen, die es für wichtig erachtete. Ich
musste zugeben, dass beide Theorien durchaus möglich klangen. Trotzdem ließ mir
mein ursprünglicher Gedanke keine Ruhe, denn eigentlich hatte ich noch etwas
anderes wissen wollen.
„Trotzdem
wundert es mich, dass wir zusammenniemals jemandem begegnen.“
„Wieso? Wir
suchen uns doch mit Absicht immer einsame Gegenden aus, damitwir
niemandem begegnen.“
„Schon, aber
denk doch mal drüber nach. Jetzt bist du hier, oder?“
Er nickte.
„Und wo warst du
vor fünf Minuten?“
„Auch hier“,
erwiderte er. „Ich habe ja geübt.“
Ich spann den
Gedanken noch etwas weiter. „Und vor zehn Minuten?“
„Ebenfalls
hier“, antwortete er geduldig. „Und vor fünfzehn und vor zwanzig…“
„Eben!“, sagte
ich triumphierend.
„Eben was?“,
fragte er zurück, mittlerweile nicht mehr ganz so geduldig. „Was genau willst
du eigentlich wissen?“
„Wenn du vor
fünf, zehn, fünfzehn Minuten und so weiter hier warst, dann müsstest du doch
eigentlich dir selberbegegnet sein, als du fünf, zehn und fünfzehn
Minuten zurückgegangen bist. Aber bist du das?“ Ich sah ihn herausfordernd an.
Dieser Gedanke
war mir ganz plötzlich gekommen. Eigentlich müssten wir uns bei unseren Trips
permanent selbst über den Weg laufen. Eine ziemlich gruselige Vorstellung. Doch
das war nie geschehen, zumindest nicht, wenn ich dabei war. Warum nicht? Ich
wusste keine Antwort.
Aber Mike
überraschte mich mit seiner. „Natürlich nicht.“ Das kam so selbstverständlich,
als wäre es ganz einfach.
Ich sah ihn
frustriert an. War mir etwas entgangen? „Wieso natürlich? Ich finde das gar
nicht so natürlich.“
„Weil du die
Zeit nicht sehen kannst“, entgegnete er. „Denn dann wüsstest du, dass sie ganz
anders ist, als du sie dir vorstellst. Du denkst, dass die Zeit wie eine lange
Linie ist, auf der es vor oder zurück geht, richtig?“
Ich nickte. „So
ungefähr.“
Auch er nickte.
„So stellen sich die meisten Menschen die Zeit vor. Habe ich auch, bis vor
kurzem. Aber jetzt weiß ich, dass diese Vorstellung vollkommen falsch ist.“
„Und wie ist sie
dann wirklich?“, fragte ich neugierig. Ich konnte mir keine andere Möglichkeit
denken.
„Sie ist nicht
eindimensional wie eine Linie, sondern viel, viel mehr!“, schwärmte er. „Die
Zeit ist wie ein weiterer Raum mit mindesten noch mal drei Dimensionen. Seit
ich sie sehen kann, hat sich mein Blick um hundert Prozent erweitert! Ich sehe
…“ Er brach ab. „Aber das ist fast unmöglich zu beschreiben. Dafür fehlen
einfach die Worte.“
Ich war
frustriert. Mir fehlten nicht nur die Worte, sondern einfach jede Möglichkeit,
mir das, wovon er sprach, irgendwie vorzustellen. Wahrscheinlich fühlte sich so
ein von Geburt an Blinder, dem man versuchte, Farben zu erklären.
Mike bemerkte
meine Frustration. „Ich versuch mal, es dir anders zu erklären. Stell dir vor,
dass alle normalen Menschen nur zwei Dimensionen kennen würden, okay? Dass sie
also ihr ganzes Leben auf der Erdoberfläche verbringen, aber nie nach oben
sehen, geschweige denn sich dorthin bewegen könnten. Soweit verständlich?“
„Ja.“ Das war ja
noch gut nachvollziehbar.
„Und jetzt stell
dir vor, dass es einen Menschen gibt, der als einziger auch die Fähigkeit hat,
die Höhe zu sehen und sich in ihr zu bewegen. Der als einziger die
Erdoberfläche verlassen kann. Wie muss es auf die anderen Menschen wirken, wenn
er das tut?“
Ich versuchte,
es mir
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