Hinter Jedem Konflikt Steckt Ein Traum, Der Sich Entfalten Will
und Gedanken zu Wort kamen. Ich selbst stand mal auf der einen und mal auf der anderen Seite und unterstützte die Familienmitglieder darin, ihre Gefühle und Ansichten besser auszudrücken. Diese Vorgehensweise wurde von allen als hilfreich erlebt. Es war auch sehr erleichternd zu merken, dass selbst geheime Gedanken ausgesprochen werden konnten und das die Luft zwischen den Parteien eher reinigte als noch mehr vergiftete. Aber es wurde auch viel geweint auf allen Seiten, allen ging der Konflikt sehr nah. Als wir nach etwa drei Stunden zu einer neuen Vereinbarung kamen und auch die jüngste Schwiegertochter zustimmte, dass Petra S. nun endlich ihren Enkel wieder sehen könne, geschah etwas, das alle überraschte: Die junge Mutter überlegte kurz, wie denn jetzt ihre eigenen Eltern damit umgehen würden, wenn sie wieder Kontakt
zu Petra S. aufnähme. Es dauerte keine fünf Minuten und sie war zu ihrer alten Position – »Ich will keinen Kontakt zu meiner Schwiegermutter«. – zurückgekehrt.
Das war für alle nach dieser anstrengenden Familienkonferenz wie ein Schlag ins Gesicht, selbst ihr Mann verstand sie nicht. Auch ich war enttäuscht und teilte ihr mit, dass es nicht leicht wäre, sie zu verstehen. Sie begann von ihrer Mutter zu sprechen und dass es für diese schlimm wäre, wenn sie mit der Schwiegermutter wieder Kontakt habe. Es gab also auch in dieser Familie ein symbiotisches Muster, das den guten Kontakt zur Familie des Mannes und damit Trennendes nicht erlaubte.
Mit Petra S. habe ich in der Folge auf meinen Fahrten von Nord nach Süd und umgekehrt noch einige weitere Gespräche gehabt. Sie kann den Konflikt heute besser aushalten. Im Grunde weiß sie um die Liebe ihrer Söhne, sie sieht diese auch ab und zu und das beruhigt sie. Sie lernt zunehmend, weniger auf ihre Kinder, sondern auf ihr eigenes Leben und was sie dort glücklich macht, zu schauen. Ihre Konfliktpartnerinnen, die Schwiegertöchter, zwingen sie letztendlich dazu.
Es war auch für mich nicht leicht, mich mit diesem Ergebnis zufriedenzugeben. Ich habe später an alle drei jungen Familien einen Brief geschrieben, um sie zu motivieren, noch einmal zusammenzukommen. Das ist mir nicht gelungen. Die Schwiegertöchter sind noch zu sehr von der Alleinschuld von Petra S. überzeugt und dass nur sie sich ändern muss. Das ist schade. Vielleicht hätten wir bei der nächsten Familienkonferenz feststellen können, dass die Söhne ihre Unabhängigkeit von der Mutter selbst in die Hand nehmen müssten. Die Frauen wären dann frei, sich mit der Schwiegermutter zu verstehen und sich gleichzeitig auch abzugrenzen. Gerade der Haken oder das Hindernis in der ersten Familienkonferenz wäre interessant gewesen und hätte ein bedeutsamer Hinweis für den Weg der weiteren Arbeit sein können.
Meine Hoffnung ist groß, dass ich mit diesem Buch Familienmitglieder in einem schweren Konflikt einladen kann, an der Stelle, an der sie am liebsten aufhören wollen, weiterzugehen und zu verstehen, womit sie eigentlich wirklich aufhören wollen. Es gibt bei schweren Konflikten keine leichten Lösungen.
Familiäre Konflikte zwischen Erwachsenen und ganz besonders Erbstreitigkeiten können so nachhaltig familiäre Beziehungen zerstören, dass es fast ein Wunder ist, dass nur so wenige von ihnen Hilfe und Mediation in Anspruch nehmen. Auf meiner Reise als Streitschlichterin durch Deutschland habe ich mehrere Male versucht, alle zerstrittenen Familienmitglieder an einen Tisch zu bekommen. Ich habe bei vielen Töchtern und Söhnen im Auftrag der Eltern angerufen und konnte sie doch nicht überreden. »Nein, das hat keinen Zweck, nein, die Eltern ändern sich sowieso nicht. Nein, nein, es ist schon so viel gesprochen worden, das wird nichts bringen«, bekam ich immer wieder zur Antwort.
Was macht es so schwer für erwachsene Familienmitglieder, sich im Streit an einen gemeinsamen Tisch zu setzen? Es muss diese ganz besondere und intensive Mischung aus Liebe, Wut und Schmerz sein. Die Erinnerung an alte Enttäuschungen und eine große Sehnsucht vermischen sich zu einem explosiven Stoff.
W enn erwachsene Familienmitglieder miteinander streiten, dann spürt man schnell, wie (sehn)süchtig sie danach sind, so gehört, geliebt und gesehen zu werden, wie sie sind. Es geht meist darum: Darf ich anders sein, anders denken und handeln, böse sein und mich ungerecht behandelt fühlen und werde ich mit all dem gehört und geliebt?
Bringt man Familienmitglieder in einem Konflikt
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