Hinter Jedem Konflikt Steckt Ein Traum, Der Sich Entfalten Will
Jüngere war nicht so schnell und einfallsreich, wie es die Ältere von ihr erwartete und machte auch Fehler. Das jedenfalls wurde ihr in dem schwelenden Konflikt verdeckt und in der Konfliktarbeit dann offen vorgeworfen. Die Jüngere, ich nenne sie Karin M., verteidigte sich, so gut es ging:
»Aber da hatte ich und da konnte ich nicht anders und deswegen kann ich nichts dafür...« Ich spürte ihre Not und ihren Schmerz und wollte zu schnell lindern und bedrängte beide, etwas einzusehen, was ihnen noch nicht möglich war. Die Wut wie auch der Schmerz in diesem Konflikt bekamen keinen Raum, um verstanden zu werden und sich dann erst zu verwandeln. Dafür hätten die beiden Frauen mehr Zeit gebraucht, das weiß ich heute. Kurz darauf bekam ich eine telefonische Rückmeldung aus dem Team und erfuhr, dass sich der Konflikt nicht wirklich gelöst hatte. Für mich war das hart.
In einer inneren Arbeit fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das Thema der jüngeren Mitarbeiterin war auch mein eigenes gewesen. Ich dachte, ich muss sehr sicher sein und darf keine Fehler machen und muss ganz schnell die Gegnerinnen befrieden, weil das sonst nicht ausgehalten werden kann. Hätte ich mehr auf meine Empfindungen gehört und diese ernst genommen, hätte Ich zu Karin M. sagen können: »Ich spüre Ihre
Not und wie weh es tut, wenn wir als Anfängerinnen in einem Arbeitsfeld alles richtig machen wollen und wir noch nicht sicher sind, ob uns das gelingt. Auch ich will jetzt diesen Konflikt ganz schnell lösen und weiß nicht, wie ich das schaffen kann. Kennen Sie das auch, wie schwer es ist, sich selbst und anderen einzugestehen, dass wir unsicher sind und Zeit brauchen? Mir fällt es jetzt auch nicht leicht, alle hier um Geduld zu bitten, um gemeinsam mit Ihnen etwas herauszufinden.« So hätte der Konflikt zu einem Gemeinschaftsthema in der ganzen Gruppe werden können: Wie gehen wir mit Fehlern und Unsicherheit um? Dürfen wir lernen und uns entwickeln? Stattdessen überging ich meine Empfindungen, war zu schnell und tatsächlich nicht wirklich hilfreich. Karin M. war meine Verbündete und ich ihre. Wir beide konnten noch nicht sagen, dass wir Zeit brauchen und vielleicht sogar Fehler machen müssen, um daraus zu lernen. Auch die Menschen im Team, die sich trauten, mir zu sagen, dass sie von mir enttäuscht waren, waren Verbündete. Ihre Kritik an mir war gerechtfertigt und ich brauchte sie, um etwas Wichtiges über mich selbst herauszufinden. Ich hatte die Möglichkeit in der nächsten Supervision darüber zu sprechen. Meine Offenheit war eine wichtige Erfahrung für alle.
So lernte und lerne ich jeden Tag neu, mit der großen Not und dem Schmerz, der Angst vor lauten Gefühlen, die wir alle in Konflikten haben, umzugehen. Viele private wie berufliche Konflikte sind so sehr von seelischen oder auch körperlichen Schmerzen begleitet, dass wir das Leid als Hinweis nehmen können, wie existentiell das Geschehen von den Betroffenen erlebt wird. Es geht in einem schmerzhaften Konflikt um ganz viel, vielfach um alles, um Sein oder Nichtsein. Deswegen wollen Menschen in einem Konflikt auch nicht die Verlierer sein. Recht nicht bekommen und schuld sein, als
schuldig von den anderen angesehen werden, kommt einem Rauswurf aus der Gemeinschaft gleich. Menschen haben Angst, das nicht zu überleben. Die Intensität des Leidens ist ein Hinweis darauf, wie sehr der Konflikt ernst zu nehmen ist, auch wenn er von außen als Dummheit erscheint. Es geht im Hintergrund immer um ein überlebenswichtiges Thema. Wenn Sie selbst in einem solchen Konflikt stecken, spüren Sie vielleicht schon, wovon ich schreibe, auch wenn Sie die Hintergründe noch nicht verstehen und den Sinn noch nicht ausmachen können.
Wenn Konflikte wehtun, müssen wir sie ernst nehmen, nur so entdecken wir das existentielle Thema.
Ganz nah beim Schmerz ist die Angst vor der Wut, der eigenen wie der der anderen, die uns Konflikte lieber vermeiden als austragen lässt. Und dann gibt es eine weitere innere Begleiterin, die es uns nicht leicht macht, einen Konflikt offen anzugehen. Ich spreche von der Scham. Wir schämen uns für das »Theater«, das wir veranstalten, oder befürchten, dass die anderen es für ein solches halten, weil sie uns noch nicht verstehen können oder wollen. Wir schämen uns, weil es einem Versagen gleich kommt, nicht mehr mit der eigenen Mutter oder Schwester sprechen zu können, Freunde oder einen Partner zu verlieren oder gekündigt zu werden. Wir
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