Hinter verschlossenen Türen
beweisen, daß Ihre Gattin wirklich die Talente und Gaben besitzt, durch welche Fräulein Gretorex in der Gesellschaft geglänzt hat.
Bei dem Wort »Talente« erinnerte sich Kameron plötzlich, wie oft Genofeva (so nannte er sie noch immer) sich geweigert hatte, ihren Gesang oder ihr Spiel hören zu lassen, jedesmal den leidigen Rheumatismus oder sonst etwas vorschützend. Er dachte daran, daß ihr der Trauring zu weit gewesen war, daß sie ihren Eltern oftmals wie eine Fremde gegenüber gestanden hatte, und an hundert große und kleine Vorkommnisse, die er früher nicht so genau beachtet. Und zu alledem kam noch die Ueberzeugung, daß das Herz seiner Gattin ihm angehört habe mit aller Glut und Innigkeit einer ersten, einzigen Liebe. Wie war das bei Genofeva möglich, die eben noch das Bild eines anderen Mannes in der Seele getragen? Und doch – ihm schwindelte bei dem Gedanken, daß er wirklich ein Weib zu seiner Gattin gemacht haben solle, das ihm ganz unbekannt war, dem er nie gehuldigt, um das er sich nie beworben hatte. –
Es wird Ihnen schwer, meine Frage zu beantworten? fragte der Inspektor mit aufrichtiger Teilnahme.
Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, ich will es nicht versuchen. Wenn Genofeva – meine Frau – sich so weit erholt hat, daß es ohne Gefahr geschehen kann, werde ich ihr die Frage vorlegen, und sie wird mir die Wahrheit sagen.
Glauben Sie? – Ja, das möchte vielleicht genügen, wenn es sich allein darum handelte, Sie persönlich zufriedenzustellen. Aber die Polizei wird schwerlich damit einverstanden sein, die Sache auf diese Weise zu erledigen.
Auch nicht, wenn sie eingesteht, daß sie Mildred Farley ist?
Auch dann nicht. Es könnte eine List sein, welche Genofeva Gretorex anwendet, um sich aus einer zweideutigen Stellung zu befreien. Durch das, was diese Frau getan und gewagt hat – sei sie nun Genofeva oder Mildred –, hat sie die Grenze überschritten, innerhalb welcher ihr eigenes Wort als Bürgschaft gelten kann.
Kameron sah dies ein. Und was gedenken Sie zu tun? fragte er in ratloser Angst.
Sie haben vergessen, war des Inspektors ernste Antwort, daß Doktor Molesworth gewußt haben muß, wessen Leiche er in seinem Wagen davonführte.
Ja, rief Kameron, leidenschaftlich aufspringend, Molesworth soll es mir sagen; gehen wir zu ihm! – Doch plötzlich stutzte er und wurde bleich. Molesworth hat für diejenige, welche jetzt mein Weib ist, große Opfer gebracht – bemerkte er zweifelnd, sollten sie wirklich Mildred Farley gegolten haben? Ist es nicht wahrscheinlicher, daß er aus Mitleid für Genofeva Gretorex der Gefahr trotzte und um ihretwillen die eigene Ruhe und Sicherheit aufs Spiel setzte?
Der Inspektor schüttelte den Kopf. Das ist keineswegs ausgemacht. Bedenken Sie doch, daß sie ihn um seine Hoffnungen betrogen hatte, daß sie vor ihm geflohen war, um sich mit einem andern zu vermählen! Und wenn auch –man bringt oft der Freundschaft größere Opfer als der Liebe.
Sie haben ihn gesehen, haben mit ihm gesprochen – gewiß hat er Ihnen gestanden –
Nein; Doktor Molesworth gab gestern abend keine Antwort auf unsere Fragen. Er war allem Anschein nach krank – sehr krank.
Kameron dachte daran, wie tiefschmerzlich der letzte Blick seines Freundes gewesen war. Gewiß hatte er aus Rücksicht für ihn die bedrohlichen Anzeichen einer nahenden Krankheit soviel wie möglich unterdrückt.
Der Sturz ins Wasser an jenem eiskalten Tage, fuhr der Inspektor fort, nebst den mancherlei Beschwerden und Entbehrungen, denen Sie beide ausgesetzt waren, hat wohl den Grund zu dem Uebel gelegt. Ich möchte mich jedoch überzeugen, ob er sich nicht kränker stellt, als er ist, um dem Verhör zu entgehen. Sind Sie bereit, mich zu ihm zu begleiten?
Kamerons sehnlichster Wunsch war es, dies zu tun. Auf Molesworth ruhte seine ganze Hoffnung; von ihm allein konnte er die Gewißheit erhalten, von der jetzt alles abhing. So folgte er denn dem Inspektor bereitwillig nach Frau Olneys Wohnung.
Die Kunde, welche dort auf die Ankommenden wartete, traf sie jedoch wie ein Donnerschlag.
Sein Befinden hat sich heute früh bedeutend verschlimmert, hieß es, der Arzt, den man eiligst herbeigerufen hat, sagt, er werde den Tag nicht überleben.
Vom heftigsten Schmerz ergriffen, vermochte Kameron sich im ersten Augenblick kaum aufrecht zu halten; er wankte nach Molesworths Zimmertüre. An der Schwelle trat ihm Frau Olney entgegen.
Kommen Sie, rief sie, er hat nach Ihnen verlangt und die Nacht
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