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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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mutige Abwehr aller beleidigenden Angriffe des menschenfeindlichen Geizhalses wäre für einen unbeteiligten Zuschauer gewiß ein recht ergötzliches Schauspiel gewesen.
    Bis Freitag war der Schnee endlich soweit fortgeschaufelt, daß die Eisenbahnverbindung wieder hergestellt werden konnte. In dem ersten Zug, der nach Neuyork abging, befanden sich auch die beiden Doktoren in Begleitung des jetzt weniger redseligen Q. Ehe sie den Ort verließen, an welchem sie so viel gelitten, wechselten sie einen langen bedeutsamen Blick miteinander. Sie waren sich während der letzten Tage ihres Beisammenseins in herzlicher Freundschaft nahegetreten, auch ohne viele Worte zu machen. Nur ihrer großen Selbstbeherrschung war es gelungen, den Geheimpolizisten bei der Täuschung zu erhalten, daß sie einander als erbitterte Feinde gegenüberständen.
    Auf der Fahrt nach Neuyork zeigten sich überall die Spuren des Schneesturms und seines beispiellosen Wütens; die ganze Gegend war kaum wiederzuerkennen, die Stadt selbst wie verwandelt. Die Reisenden achteten jedoch wenigauf die veränderte Landschaft; ihre eigene Stimmung beschäftigte sie ausschließlich.
    Im Bahnhof verabschiedete sich Kameron von Molesworth mit wenigen höflichen Worten. Beide waren sich klar bewußt, daß der Detektiv, trotz aller scheinbaren Rücksicht und Zurückhaltung, Molesworth als seinen Gefangenen betrachte. Er durfte nicht hoffen, je wieder sein eigener Herr zu sein, bis er nicht der Polizei auf alles, was sie zu wissen begehrte, Rede und Antwort gestanden. Vielleicht war diese Gewißheit der Grund seines finstern Trübsinns. Der tieftraurige Blick, den er Kameron beim Abschied zuwarf, verfolgte diesen förmlich auf dem ganzen Heimweg und machte ihm den ohnehin sauren Gang doppelt schwer. – Was wartete seiner daheim nach der fast achttägigen Abwesenheit? Welche neue Prüfung stand ihm bevor?
    Er war auf das Schlimmste gefaßt; aber an der Miene des Mädchens, welches ihm auf sein Klingeln die Haustüre öffnete, erkannte er sofort, daß im Zustand seiner Frau noch keine wesentliche Veränderung eingetreten sei. Bei dem flüchtigen Besuch, den er im Krankenzimmer machte, gab er der Wärterin recht, daß die Krisis nun nicht mehr fern sein könne; auch er glaubte eine leise Bewegung der Kranken zu bemerken. Höchstens noch einen oder zwei Tage – aber was konnte sich innerhalb dieser Frist alles zutragen! –
    Noch am selben Abend sandte Doktor Kameron folgende Zuschrift an den Polizeiinspektor:
    »Ich versprach zu viel. Zwar habe ich Doktor Molesworth aufgefunden und nach Neuyork gebracht, aber es ist mir nicht gelungen, ihn zum Reden zu bringen. Wenn Ihnen dies besser glücken sollte, haben Sie wohl die Güte, mich davon zu benachrichtigen.«

Sechsunddreißigstes Kapitel.
    Wieviel Doktor Kameron auch schon gelitten hatte, der schwerste Augenblick für ihn kam am nächsten Morgen.
    Sie hat den Arm erhoben und wieder fallen lassen, flüsterte die Wärterin, die ihm mit dem Finger auf den Lippen an der Treppe entgegentrat.
    Er aber fand nicht ein Wort der Erwiderung, wankte in sein Sprechzimmer und schloß die Türe. Keine Macht der Erde hätte ihn in diesem Moment vermocht, sich Genofevas Krankenlager zu nähern. Als er das Weib mit der Botschaft auf ihn warten sah, war ihm ein Hoffnungsstrahl in die Seele gefallen, es möchte Tod sein und nicht Leben, was sie zu verkünden habe. Er fühlte in diesem Augenblick, daß sein Glauben erschüttert sei, daß er die frühere abgöttische Liebe und Verehrung für seine Gattin nicht mehr im Herzen trage.
    Bald jedoch gewann der starke Mann die Herrschaft über sich selbst zurück. Vor seiner Pflicht als Arzt mußte jede persönliche Empfindung schweigen; mit kühler Ruhe und Besonnenheit betrat er das Krankenzimmer. Sein Weib lag wieder unbeweglich da, nur der Gesichtsausdruck war verändert: nicht mehr starr und leblos, sondern zart und lieblich, wie von einem aufdämmernden innigen Gefühl beseelt. Unendlich rührend sah sie aus in ihrer Hilflosigkeit; Kameron kniete an ihrem Lager nieder und betrachtete sie lange mit unverwandtem Blick. – Ließ sich solcher Frieden vereinigen mit dem Bewußtsein einer schweren Schuld? Konnte hinter dieser Engelsmiene Betrug und Falschheit lauern? – Es schien unfaßlich, und doch – war nicht ihre ganze unheimliche Geschichte eine einzige Kette von Täuschung und Unwahrheit, die jede redliche Natur mit Abscheuerfüllen mußte? – Wohl – aber jetzt handelte es sich

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