Hinter verschlossenen Türen
allein lassen, während er in das Nebenzimmer ging. Trotz seiner innern Erregung folgte der Doktor der Aufforderung schweigend und mit ruhiger Besonnenheit; er geleitete Zilia in das Sprechzimmer, schloß sie daselbst ein und kehrte dann zu den andern zurück.
Unterdessen war zwischen der Dame und dem Detektiv weder ein Wort noch ein Blick gewechselt worden. Kaum aber hatte Kameron das Zimmer wieder betreten, als sich Genofevas Gesichtsausdruck plötzlich völlig veränderte. Mit offener treuherziger Miene trat sie Gryce gegenüber.
Wie gütig von Ihnen, sagte sie in so dankbarem Ton, daß beide Herren betroffen aufblickten, ich werde nie vergessen, wie schonend und rücksichtsvoll Sie verfahren sind. Nachdem Sie die gräßliche Geschichte gehört hatten, mußten Sie ja wissen, daß Mildred Farley gestorben ist, ehe ich hinunterging und nicht erst später. Und doch sind Sie hergekommen, ohne Aufsehen zu erregen, um mich im Vertrauen zu befragen, welchen Aufschluß ich darüber geben könnte. Zum Beweis, wie sehr ich Ihnen diese Freundlichkeit danke, will ich Ihnen alles mitteilen, was ich über den Tod des unglücklichen Mädchens weiß. Sie werden die Sache dann vielleicht mit andern Augen ansehen und einigermaßen die Furcht begreifen, die mich bewog, das entsetzliche Geheimnis, selbst vor meiner Mutter und meinem Gatten, zu verbergen, bis es mir jetzt stückweise entrissen wird. So hören Sie denn die Wahrheit: das Mädchen, dessen Tod Ihnen so rätselhaft erscheint, hat sich selbst vergiftet. Sie verübte den Selbstmord in meiner Gegenwart, wenige Minuten bevor ich zur Trauung ging. Eskam mir ganz unerwartet und erschütterte mich aufs tiefste. Ich war mit meiner Brauttoilette beschäftigt gewesen, und nichts schien mir ferner als ein solches Trauerspiel. Auch war es wohl nicht ihre Absicht gewesen, sich auf der Stelle zu töten; die Verzweiflung mußte sie überwältigt haben. Nachdem sie bei der letzten Unterredung mit ihrem Bräutigam erkannt, daß sie sich in ihm getäuscht habe, wollte sie ihn nicht wiedersehen. Nun stand ich vor ihr als Braut, geschmückt und voll Hoffnung, ihr dagegen war nur die Aussicht auf eine öde trostlose Zukunft geblieben. Das vermochte sie nicht zu ertragen. Im nächsten Augenblick schon hatte sie das Giftfläschchen ergriffen und an die Lippen gebracht. Die Tat war geschehen, und sie war eine Leiche, ehe ich mich noch von dem starren Schrecken erholen konnte, der mir alle Glieder lähmte. Bedenken Sie, ich war im Hochzeitsschmuck, die Feier sollte beginnen, jeden Moment konnte ich zur Trauung gerufen werden. Welches Aufsehen hätte es erregt, welches Grauen hätte sich der ganzen frohen Festversammlung bemächtigt, wenn ich den Vorfall offenbarte! Mir blieb nur eine Sekunde zur Ueberlegung, ich beschloß, ihn geheimzuhalten. Schmerzerfüllt und in Todesangst, Gott weiß es, zog ich das arme Mädchen in den Alkoven und deckte sie mit den Kleidern zu, die schon auf dem Boden umherlagen. Kaum hatte ich dies getan und meinen Schleier wieder in Ordnung gebracht, da klopfte es an der Tür, und ich ward hinabgerufen.
Es war entsetzlich! Wie entsetzlich, das ward mir erst klar, als ich Zeit fand, mich zu besinnen. Ich fühlte mich kaum imstande, meine Aufregung zu bemeistern, und als nun noch der Schrei von oben ertönte –
Die Erinnerung an das furchtbare Erlebnis machte sie schaudern.
Ihr Gatte, der jetzt erst erkannte, wie schwer sie gelitten, reichte ihr voll Mitgefühl die Hand, obgleich er wohlbegriff, daß die Vergangenheit in ihren Schatten noch manches unaufgeklärte Rätsel barg.
Was aber, fragte der Detektiv in kühlem Geschäftston, geschah mit der Leiche? Wir finden sie erst in der Obhut von Doktor Molesworth wieder, der, wie mir gesagt worden ist, nicht zu den Hochzeitsgästen zählte.
Frau Kameron erwiderte freimütig: Doktor Molesworth hatte sich nach dem Hotel begeben, wo seine Trauung stattfinden sollte. Da er die Braut nicht fand, vermutete er ganz richtig, daß sie hier wäre. Er gehörte nicht zu den Gästen, aber der Eintritt ins Haus war ihm nicht verwehrt. Ich sah ihn in der Halle stehen und erriet sofort, was er hier suchte. Es gelang mir, mich aus dem Kreis der Freunde, die mich beglückwünschten, zu entfernen und zu ihm zu eilen; rasch teilte ich ihm mit, die Person, welche er suche, sei oben in meinem Zimmer; er solle vorangehen, ich werde folgen. Auf den ersten Blick sah ich, daß er sich in höchster Aufregung befand, aber ich wußte, daß, wenn die
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