Hinter verschlossenen Türen
machte, wenn Sie sonst niemand hereinließen. Ich dachte, ich könnte sie einmal sehen, wenn sie ihren Schleier heruntertut. Als ich Ihnen damals über die Schulter guckte, wollte ich nur wissen, ob der Brief, den Sie schrieben, etwa an das Mädchen sei. Sie war doch nur eine Kleidernäherin und kein Umgang für eine vornehme Dame. Warum ich das alles tat, weiß ich nicht; ich will nur erklären, weshalb ich wieder kam, nachdem man mich fortgeschickt hatte. Ich mußte wissen, ob sie auch vor Ihrer Hochzeit noch ins Zimmer gelassen würde – und wirklich so war's.
Sie will mit alledem sagen, bemerkte der Detektiv trocken, daß sie selbst zur Zeit Ihrer Trauung im Hause war, ohne daß man darum wußte.
Genofeva verharrte unbeweglich in ihrem Schweigen.
Wie ich sie hinaufgehen sah, fuhr Zilia fort, warich so böse, daß ich mich auf die Hintertreppe setzte und anfing vor Zorn zu weinen. Als bald nachher alle bei der Trauung waren, dachte ich, sie würde auch oben am Geländer stehen, vielleicht ohne Schleier, um die Hochzeitsgesellschaft zu sehen; aber ich entdeckte sie nicht und konnte nicht begreifen, warum sie im Zimmer geblieben war. Das wollte ich wissen. Wie ich nun gar die Tür verschlossen fand, hatte ich keine Ruhe mehr, ich mußte sehen, was das Mädchen ganz allein da drinnen vorhatte. Vom Nebenzimmer aus stieg ich durch das Fenster aus das Dach und probierte durch das Fenster im Alkoven hineinzugucken –
Fahren Sie fort! – War das Genofevas Stimme? – Selbst ihr Gatte erkannte sie nicht wieder.
Zilia hatte nur Atem schöpfen wollen. Sie sah ihre frühere Herrin verwundert an und berichtete weiter:
Im Zimmer war das Rouleau nicht ganz herabgelassen, es kam ein Lichtschein von der Straße her, aber das Mädchen war nirgends zu sehen. Das Fenster war nicht festgemacht, ich öffnete es, stieg hinein und ging ins Zimmer, aber das Mädchen war nicht da.
Zilia hielt inne; sie mochte wohl fühlen, daß Genofeva sie mit ihren Blicken förmlich durchbohrte. Für die dramatische Wirkung ihrer Erzählung hatte sie kein Verständnis; ihr war unbehaglich zumute.
Sie war nicht da, wiederholte sie, und mir fing an bange zu werden; ich wollte zum Zimmer hinaus, aber die Tür war verschlossen. Ich mußte wieder durchs Alkovenfenster, und da hatte ich einen Todesschrecken. Nicht neben mir am Boden lag ein Haufen Kleider, und eine Hand sah heraus – eine kalte weiße Totenhand – hu!
Sie schauderte zusammen bei der Erinnerung, während Frau Kameron in die Höhe fuhr und dann wie vom Schrecken überwältigt auf ihren Sitz zurücksank; ihr schien der Atemzu stocken vor Entsetzen über das Bild, welches ihre Einbildungskraft heraufbeschwor.
Ihr Gatte, den der Schreck gleichfalls im ersten Augenblick übermannt hatte, trat jetzt auf den Detektiv zu.
Eine höchst unwahrscheinliche Geschichte, rief er; haben Sie wirklich Grund, daran zu glauben?
Hören wir weiter, war die ruhige Antwort, dann können wir uns ein Urteil bilden.
Er winkte dem Mädchen, fortzufahren.
Die Leute sagen, man hatte einen gräßlichen Schrei gehört mitten in der Trauung – ja, das glaub' ich wohl! Ich war mutterseelenallein mit der schrecklichen Totenhand, die nach mir zeigte. Zuerst konnte ich kein Glied rühren, ich fürchtete mich so. Ich dachte nichts als: nur fort, nur fort von hier, ohne daß dich jemand sieht! Auch wollte ich nichts davon sagen, denn wenn man erfuhr, ich sei heimlich dort im Zimmer gewesen, konnte mir's übel ergehen. Wie ich an der Leiche vorbeikam und wieder durchs Fenster und zum Hause hinaus, weiß ich nicht. Draußen war mir's schwach zum Umfallen, aber ich nahm alle Kraft zusammen und lief nach Hause, so schnell mich meine Füße trugen. Lange habe ich kein Wort davon gesagt, und wie die Herren dahinter gekommen sind, daß ich das tote Mädchen in Ihrem Zimmer gesehen habe –
Genug, unterbrach sie der Detektiv mit fester Stimme. – Sie haben nun ihre Geschichte gehört, wandte er sich mit höflicher Verbeugung an Frau Kameron, wünschen Sie noch eine oder die andere Frage an sie zu richten?
Die Dame schien soeben aus einem furchtbaren Traum zu erwachen. Nein, murmelten ihre Lippen.
So kann ich sie entlassen?
Ja.
Gryce wandte sich an den Doktor.
Hätten Sie wohl die Güte, sie einstweilen sicherunterzubringen? Ich möchte die Sache noch etwas näher erörtern.
Er sprach in verbindlichem Tone, aber Kameron und seine Frau erröteten unwillig. Offenbar war er mißtrauisch und wollte sie nicht zusammen
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