Hinter verschlossenen Türen
ihn ernstliche Gefahr bedrohe. Wäre ihm der Prozeß gemacht worden, ich hätte die Wahrheit bekannt, ohne mich zu schonen. Solange noch die Möglichkeit vorhanden war, daß es nicht dazu kommen würde, schwieg ich.
Sie verteidigte ihre Sache gut, aber ihre umwölkte Stirn, ihre bleichen Lippen verrieten nur allzu deutlich, daß sie dieselbe als eine verlorene betrachtete. Dem Verhängnis, welches so lange über ihrem Haupte geschwebt hatte, war nicht mehr zu entrinnen.
Ihre Erklärungen genügen mir, erwiderte der Detektiv. Ich wünsche jetzt nur noch zu erfahren, wie Fräulein Farley zu dem Gift gekommen ist, mit dem sie sich das Leben nahm.
Das kann ich nicht sagen, flüsterte Frau Kameron kaum hörbar.
Holte sie das Fläschchen aus ihrer Tasche, ihrem Mantel oder den Falten ihres Kleides?
Genofeva schüttelte ratlos das Haupt.
Gryce ward unruhig; er zögerte ein wenig, dann fragte er freundlich: Sahen Sie, daß sie es an die Lippen setzte?
Genofeva bejahte es.
Aber nicht, woher sie es nahm?
Darauf kann ich nicht antworten.
Ihr Gatte trat an ihre Seite: Warum nicht? fragte er leise.
Weil – sie griff nach einem Stuhl, um sich zu setzen – weil du mir nicht glauben würdest.
Ich – dir nicht glauben!
Sie hatte ins Leere gestarrt, jetzt sah sie ihn an. Es war ein Blick voll unergründlicher Liebe, aber auch voll namenloser Verzweiflung. Vielleicht doch, sagte sie, aber es klingt kaum glaublich.
Was unglaublich scheint, ist doch oft wahr, bemerkte er.
Sie lächelte, aber ohne Hoffnung.
Nun denn: sie nahm es aus einem Kasten.
Den sie bei sich trug?
Nein, der sich im Zimmer befand.
Kameron und der Detektiv starrten sie verwundert an; Genofeva bebte wie von Frost geschüttelt.
Sie nahm ein Flaschchen mit Blausäure aus einem Kasten, der sich im Zimmer befand?
Ja.
Und wie kam dies Giftfläschchen in Ihr Zimmer, Frau Doktor?
Sie fand anscheinend keine Antwort auf diese Frage. Sie bewegte die Lippen, brachte aber keinen Laut hervor und saß stumm da, ein Bild der Scham und der Verzweiflung.
Von Angst gepeinigt wollte Kameron eben ungestüm das Wort ergreifen, aber der Detektiv kam ihm zuvor.
Sie glauben, ich habe kein Recht, die Frage zu stellen. Gut, ich nehme sie zurück und möchte nur wissen, wie der Kasten aussah, der das Fläschchen enthielt und wo er aufbewahrt wurde.
Es war ein Schmuckkasten, der in der obersten Kommodenschublade stand.
Gryce gab kein Zeichen von Ueberraschung.
So? sagte er, nun, da der Kasten wertvolle Dinge enthielt, war er vermutlich verschlossen und die Kommode auch?
Die Kommodenschublade, das weiß ich nicht, aber derKasten war verschlossen, ich sah sie den Schlüssel umdrehen.
Es war ein verhängnisvolles Zugeständnis, das ihrer ganzen Aussage den Stempel der Unwahrscheinlichkeit aufdrückte. Sie erkannte das zu spät. Totenblässe trat auf ihr Gesicht, und sie schien dem Umsinken nahe. Ihr Gatte vergaß in seinem Schrecken die Frage, die ihm auf den Lippen schwebte. Der Detektiv jedoch fuhr unbarmherzig fort:
Entschuldigen Sie, wie kam denn die arme Näherin dazu, Ihre Schubladen zu öffnen und Ihren Schmuckkasten zu plündern? Unter welchem Vorwand nahm sie sich so etwas heraus?
Ihre letzte Kraft zusammenraffend erwiderte Genofeva hastig: Sie sagte gar nichts; es geschah alles so schnell, daß keine Zeit zu Erklärungen übrig blieb.
Wie aber konnte sie wissen, – wie kam sie dazu –
Der Doktor, welcher bei dem Zustand seiner Frau erkannte, daß kein Augenblick zu verlieren sei, unterbrach ihn schnell:
Genofeva, sage mir nur das eine, war es das Fläschchen mit Blausäure, das ich dir damals gab als –
Sein Fragen war umsonst; ein großer roter Fleck trat plötzlich auf ihrer Wange hervor; sie schien nichts mehr zu hören und zu sehen.
Ich bin krank, Walter, ich bin krank, stöhnte sie in gebrochenen Lauten, und schon im nächsten Augenblick lag sie bewußtlos zu seinen Füßen.
Zwanzigstes Kapitel.
Ein Tag war vergangen, für Doktor Kameron ein furchtbar ernster Tag, an dem seine Gattin am Rande desGrabes geschwebt hatte. Noch jetzt war sie so krank, daß im Hause nur leises Geflüster und unhörbare Tritte gestattet wurden, aber das Schlimmste war doch vorüber.
Sobald Kameron abkommen konnte, begab er sich verabredetermaßen zu Gryce, um der Ungewißheit ein Ende zu machen, welche durch die letzten Worte seiner Frau hervorgerufen worden war. Er wußte, daß dies in seiner Macht stand, denn ihm war noch klar erinnerlich, bei welcher
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