Hinter verschlossenen Türen
Doktor ein, und bald darauf hatten sie sich mit dem kleinen Trupp vereinigt, der entschlossen war, nach dem fernen Dorfe aufzubrechen.
Daß es ein tollkühnes Unternehmen war, erkannten einige der Teilnehmer nur allzubald. Sie vermochten kaum der Gewalt des grimmigen Sturmes zu widerstehen und verloren bei dem dichten Schneefall obendrein die Richtung. Der Mann, welcher ihnen als Führer dienen sollte, war dererste, der die Hilfe seiner Gefährten in Anspruch nahm und sich halb erstarrt von ihnen mit fortschleppen ließ.
Nach einem mehr als halbstündigen verzweifelten Kampf sank den meisten der Mut, und sie wären gewiß wieder umgekehrt, hätten sie nur hoffen können, den Rückweg zu finden. Die dunkle Nacht und der wirbelnde Schnee ließen sie jedoch nichts erkennen, außer von Zeit zu Zeit einen Baumstamm, wenn sie der Wind dagegen trieb.
Doktor Kameron, dem ein solcher Kampf mit den Elementen völlig neu war, bot seine ganze Willenskraft auf, um nicht zu erliegen. Zuerst hatte er sich an zwei der stärksten Männer angeschlossen, deren Mienen ihm besonderes Vertrauen einflößten; er wurde jedoch in der Dunkelheit von ihnen getrennt. Im Weiterschreiten kam er an die Seite eines andern Gefährten, und als er einmal erschöpft stillstand, reichte ihm der Fremde den Arm und zog ihn mit sich fort. Dieser Beweis menschlichen Gefühls und die Berührung selbst schienen Wunder zu wirken. Des Doktors Kraft ward neu belebt; zwar konnte er dem hilfreichen Genossen seine Erkenntlichkeit nicht in Worten aussprechen, aber er drückte doch dankbar den stützenden Arm und hob sein Haupt mutiger empor.
Diese zwei kühnen Männer, welche an der Spitze des Zuges marschierten, während die andern mehr und mehr zurückblieben, fochten unverdrossen weiter gegen alle Hindernisse. Nur einmal machte der Doktor Miene, sich auf einen weichen Schneehaufen zu kurzer Rast niederzulassen, aber sein unbekannter Kamerad ließ ihm keine Zeit; schon fühlte er sich von seinem Arm erfaßt und aufgerüttelt.
O Gott, fuhr es ihm durch die Seele, wenn Genofeva mich jetzt im Traume erblickte!
Ein sanftes, zärtliches Gefühl überschlich ihn, wie es sein Herz seit lange nicht empfunden; sein Tritt ward unsicher,die Knie wankten ihm, und er wäre zu Boden gefallen, hätte ihn nicht der starke Arm gehalten.
Da tauchte in der dunkelsten Nacht auf einmal vor ihnen ein fernes, schwaches Licht auf; ob es aus einem Hause kam, ob ein Wanderer es in der Hand trug, sie wußten es nicht, aber der Anblick gab ihnen neues Leben, und sie folgten dem freundlichen Leitstern, der ihnen eine sichere Zukunft versprach. Schulter an Schulter drangen sie weiter vor, obgleich ihnen der angehäufte Schnee zuweilen bis an die Brust reichte. Plötzlich jedoch erlosch das rettende Licht. Sie schrien nach Hilfe, aber keine Antwort kam zurück, und die Enttäuschung war doppelt groß nach der kurzen Hoffnung.
Selbst wenn uns die Kraft nicht verläßt, ehe wir durch die Schneewüste bis zum Dorf gelangen: zurück kommen wir nicht wieder, dachte Kameron bei sich. Der starre Frost lähmte ihm die Glieder, und er fühlte, er müsse sich gewaltsam aufrecht halten, sonst sei alles verloren. Da fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, daß Molesworth jetzt vielleicht wieder in Neuyork sei, in ein und derselben Stadt mit seiner Frau; das feuerte ihn an und entflammte seinen Eifer von neuem: »Ich will nicht unterliegen,« war sein unbeugsamer Entschluß, und nun war es Kameron, der am energischsten vorwärtsdrang und den Gefährten mit sich fortzog. Von dem scharfen, prickelnden Schnee schmerzten ihn die Augen, er hatte sie seit einigen Minuten geschlossen, als er sich urplötzlich auf der Stelle festgehalten fühlte. Er blickte um sich und gewahrte, daß sie am Rande eines wild schäumenden Flusses standen, in den er blindlings hineingestürzt wäre, hätte ihn nicht der wachsamere Gefährte zurückgehalten.
Schaudernd erkannte er die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage. Das also war das Ende der Wallfahrt. Alles Leiden war vergeblich gewesen, auch der furchtbare Kampf, bei dem sie hundertmal dem Tode getrotzt hatten, um nundoch zu unterliegen. Dem Doktor war der Mut geschwunden; er fühlte, daß er nicht einmal mehr Kraft genug besitze, um dem Fremdling an seiner Seite eine letzte Botschaft an sein Weib anzuvertrauen. Im Geist sah er in diesem Augenblick ihre reinen Züge vor sich auftauchen, es war ihm, als schaue er in ein Engelsangesicht.
Da wandte sich sein Kamerad auf einmal
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