Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
Vom Netzwerk:
Fährlichkeiten löste der Doktor sich eine Fahrkarte zum Morgenschnellzug.
    Dieser ging zwar ebensowenig fahrplanmäßig ab, als der frühere, aber drei Stunden Verspätung waren von wenig Belang, wie Kameron bald erfahren sollte. Die Hindernisse auf der Bahn wurden immer größer, und die Lokomotive schleppte sich nur mühsam weiter durch die zusammengewehten Schneehaufen. Schwerfällig keuchte und ächzte sie dahin und brauchte Stunden für eine Strecke, die sie sonst in wenigen Minuten zurückzulegen pflegte.
    Das Schicksal hat sich gegen mich verschworen, seufzte Kameron, als es Nachmittag wurde und sie noch viele Meilen von Neuyork entfernt waren, nicht nur ist mir der Flüchtling entkommen, sondern ich selbst bin verirrt, wie ein Wanderer in öder Wildnis.
    Sein eigenes Mißgeschick nahm ihn so völlig in Anspruch, daß er sich kaum nach den angsterfüllten, verstörten Gesichtern seiner Mitreisenden umsah. Eine Stunde nach der andern verging, der Abend brach herein, und ihre Lage wurde immer hoffnungsloser. Nun erst begann Kameron sich aus dumpfer Erstarrung emporzuraffen; er schüttelte die selbstsüchtigen Gedanken ab, um auch an seine Leidensgefährten zu denken, die er mit dem freundlich teilnehmenden Ausdruck betrachtete, welcher ihm so leicht alle Herzen gewann.
    Unter der Zahl der Reisenden befanden sich auch einige Frauen, die sich mit großer Seelenstärke in ihr Geschick zufügen schienen. Ihre stille Geduld bei so trübseliger Aussicht rührte Kameron, der gleich den übrigen Männern sich nicht länger über den Ernst der Lage täuschen konnte.
    Eben machte die Lokomotive mit herkulischer Anstrengung noch einen letzten Versuch, sich durch einen ungeheuren Schneeberg Bahn zu brechen, der ihr den Weg versperrte. Noch eine schwache Bewegung, dann stand der Zug still.
    Wir bleiben stecken, rief ein Reisender.
    Auf freiem Felde, fiel ein anderer ein, nirgends ein Unterkommen.
    Und die Nacht bricht herein, klagte ein dritter.
    Her mit den Schneeschaufeln, drängte ein tatkräftiger Mann, wir wollen doch sehen, ob sich die Mauer nicht wegschaffen läßt.
    Der Doktor trat auf die Plattform, um die traurige Lage selbst in Augenschein zu nehmen, doch kehrte er bald wieder in das Innere des Wagens zurück; er konnte sich draußen kaum auf den Füßen halten, und der tobende Wind drohte ihm den Atem zu rauben. Ein zweiter Versuch gelang jedoch besser. Sich an der Bremsstange festklammernd blickte Kameron umher: sie befanden sich anscheinend auf einer mit hohen Schneehügeln besetzten Ebene; kein Haus, kein Zaun war sichtbar, und Weg und Steg zugeschneit. Man glaubt in Sibirien zu sein, war das wenig trostreiche Ergebnis seiner Betrachtung.
    Bei zwei Schaffnern, die am Wagen standen, erkundigte er sich, ob denn keine menschliche Wohnung in der Nähe sei, wo man hoffen dürfe, warme Decken und Nahrungsmittel zu erhalten. Die Antwort lautete nicht ermutigend; die Gegend, hieß es, sei wenig bewohnt, das nächste Dorf drei Meilen entfernt, und näher keine Wohnstätte anzutreffen, außer der Behausung des alten Harper.
    Und wie weit ist's bis dahin?
    Nur eine Meile, schrie der Schaffner so laut er konnte, um das Heulen des Windes zu übertönen. Aber der Alte läßt niemand herein. Er ist ein Menschenfeind und lebt als Einsiedler in seiner Mausfalle von einem Haus. Sie tun besser, im Zug zu bleiben.
    Kameron sah die Weisheit dieses Rates ein und beschloß ihn zu befolgen. Aber je weiter die Nacht vorrückte, um so empfindlicher ward der Frost, zu dem sich noch ein nagender Hunger gesellte. Voll Mitleid blickte der Doktor auf die zarten, stumm duldenden Frauen, denen er nicht zu helfen vermochte; er sagte sich, es müsse weit erträglicher sein, draußen mit Schnee und Wind zu kämpfen, als hier still zu sitzen und an seinem Kummer zu zehren. Lieber wollte er den Kampf mit den Elementen aufnehmen, als wer weiß wie lang in duldender Untätigkeit verharren.
    Im Verein mit drei oder vier Reisenden, die seine Gefühle teilten, beschloß daher Kameron den Versuch zu wagen, Harpers Wohnhaus zu erreichen. Der Mann konnte doch kein solcher Unmensch sein, Leuten, die sich in großer Bedrängnis befanden, seine Hilfe zu verweigern.
    Der Schaffner, den sie nach der einzuschlagenden Richtung befragten, gab die gewünschte Auskunft, fügte aber kopfschüttelnd hinzu: »Schließen Sie sich doch lieber den Männern vom vordern Wagen an, welche versuchen wollen, sich bis zum nächsten Dorf durchzuschlagen!«
    Dies leuchtete dem

Weitere Kostenlose Bücher