Hintergangen
einfach alles ignorieren. Die Konsequenzen wären schlicht zu ungeheuerlich. Bei meiner Krankengeschichte würde mir niemand glauben, wenn ich jemandem von Hugos Neigungen erzähle. Ich kann aber nicht einfach davonlaufen, ich muss versuchen, etwas zu ändern, proaktiv handeln. Also habe ich ihm meine Bedingungen genannt und bin einen Pakt mit dem Teufel eingegangen: meine Komplizenschaft als Gegenleistung für eine Reihe von Zugeständnissen – eine davon der Erwerb eines Hauses in Italien. Ein Ort, an den ich fliehen kann, wo ich mich sicher fühle und den er hasst. Äußerlich werden wir uns als normales Paar ausgeben, aber während der Woche, wenn wir Alexa nicht haben, kann ich der bedrückenden Atmosphäre unserer Ehe entfliehen. Das war ein Zugeständnis, das ihm nicht schwer gefallen ist. Es war aber bei Weitem nicht das wichtigste.
L aura rief zu Imogen hinauf. Sie wusste, dass sie sie nicht stören sollte, aber jemand hatte gerade an der Haustür geklingelt. Wie derjenige durchs Tor gekommen war, wusste sie nicht, vielleicht hatten die Gärtner es offen stehen lassen. Jedenfalls wollte sie Imogen bei sich haben, falls es sich um einen Reporter handelte.
Becky war aus ihrem »Büro« aufgetaucht, aber als Laura sah, dass Imogen rasch die Treppe herunterkam, lächelte sie Becky kopfschüttelnd zu und ging an die Tür, um den Ankömmling hereinzulassen. Es dauerte einen Augenblick, bevor sie begriff, wer da auf der Türschwelle stand.
Stumm stand sie da, den Mund leicht geöffnet, und schaute in das sonnengebräunte Gesicht mit den strahlend blauen Augen eines der wenigen Menschen, über dessen Anblick sie sich freute. Sie bemerkte seinen sorgenvollen Blick, aber ob es ein Zeichen von Mitgefühl ihr gegenüber oder wegen der Traurigkeit in seinem eigenen Leben war, wusste sie nicht. Seine Ungezwungenheit brach schließlich das Eis.
»Klapp den Mund zu, Schwesterchen. Das steht dir nicht besonders.«
»Mein Gott, du bist es tatsächlich. Imo hatte gesagt, dass du kommst, aber ich hätte nie gedacht, dass du es so schnell schaffst. Ach, Will – es ist so wunderbar, dass du da bist.«
Laura schlang die Arme um ihren Bruder und klammerte sich ganz fest an ihn, genoss die Wärme seines vertrauten kräftigen Körpers. Sie spürte, wie sich seine Arme um sie legten, und genoss das Gefühl von Geborgenheit, das einem nur die Umarmung einer nahestehenden Person verschaffen kann. Sie sollte jedoch nicht lange dauern. Direkt über sich hörte sie ihren Bruder ganz ruhig reden.
»Hallo, Imogen.«
Schweigen.
Sie war froh, dass ihr Kopf in seiner Brust vergraben war, denn sie wollte die Blicke nicht sehen, die zwischen den beiden hin- und hergingen. Keiner hatte je wieder einen anderen Menschen gefunden, den sie lieben konnten, und für Laura stand außer Zweifel, dass Hugo schuld daran war. Sie wusste zwar nicht, was sie tun sollte, um das, was er so achtlos zerstört hatte, wieder zusammenzufügen, doch sie musste es versuchen.
Sie löste sich und schlug vor, ins Wohnzimmer zu gehen. Sie konnte sich gar nicht sattsehen an Will. Die Sonne hatte sein blondes Haar hellgolden gebleicht, und seine rauen Züge waren gebräunt. Mit seinen Schultern – seit jeher breit – wirkte er wie ein Riese. Von seiner hochgewachsenen, stabilen Gestalt auf sie herunterblickend, war er wie der sicherste Hafen, der jedem Sturm trotzte.
Es war offensichtlich, dass Imogen und Will sich nicht recht entscheiden konnten, wie sie sich verhalten sollten. Sollten sie einander umarmen, was sie offensichtlich beide wollten, oder auf Distanz bleiben? Letztere Option erschien ihnen wohl sicherer.
Laura war sich der Spannung im Raum bewusst, und alle drei wirkten etwas verlegen, als wäre einer zu viel, ohne dass jedoch klar war, wer. Sie überbrückten zehn Minuten mit allgemeinem Geplauder über Wills Arbeit, Imogens Leben in Kanada und über die Veränderungen am Haus, die Laura gerade vornahm. Dann brach Will schließlich den Bann.
»Okay, ihr beiden. Schluss mit dem Gequatsche. Erzählt mir lieber, was hier eigentlich los ist. Ich werde nicht so tun, als hätte ich deinen Mann gemocht, Laura, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wieso ihn jemand hätte umbringen wollen.«
»Das ist eine lange Geschichte, Will. Die letzten paar Tage waren die Hölle. Bevor wir damit anfangen, gehe ich rüber und sage Mum, dass du hier bist. Wahrscheinlich ist sie in der Küche. Sie meint, wir müssen alle gemästet werden, und Schokoladenkuchen
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