Hintergangen
dem Abend, an dem ich Hugo begegnet bin.«
6. Kapitel
Februar 1998
Liebe Imo,
es gibt da etwas, was ich dir unbedingt sagen muss – aber ich kann nicht! Es ist so frustrierend. Du bist meine beste Freundin, und ich will das mit dir teilen. Also werde ich alles aufschreiben, damit ich auch nichts vergesse – keinen einzigen kostbaren Moment. Ich habe ein paar erstaunliche Wochen hinter mir, weißt du. Ich glaube wirklich, dass sich mein Leben in den vergangenen vierzehn Tagen für immer verändert hat.
Ich habe einen Mann kennengelernt.
Alles hat am Abend der Preisverleihung begonnen. Von der habe ich dir erzählt. Ich war vorher noch nie bei einer Veranstaltung im Großen Saal im Grosvenor House Hotel, das ja für die besten Preisverleihungsveranstaltungen berühmt ist. Und diesmal war eine meiner Sendungen auf der Auswahlliste (und ich ein komplettes Nervenbündel).
Simon – mein Chef – hatte mich schon erwartet, und wir haben uns durch die Menschenmenge in der kleinen Lobby geschoben, alle haben gelacht und gelächelt und wunderbar elegant ausgesehen. Wir sind hinunter auf die Galerie gegangen mit Blick auf den Großen Saal, wo der Champagnerempfang stattgefunden hat.
Ich muss (etwas unbescheiden) sagen, dass ich mit meinem Aussehen wirklich zufrieden war. Das hat meinem Selbstvertrauen gutgetan, vor allem weil ich so furchtbar aufgeregt war. Ich hatte mir ein sagenhaftes Kleid in aquamarinblauer Seide geleistet, und in der Kombination kam mein rotes Haar noch besser zur Geltung.
Der Blick vom Empfangsbereich in den Großen Saal war atemberaubend. Riesige Kronleuchter haben warmes, behagliches Licht verströmt, und es gab ein endloses Meer an wunderschön geschmückten runden Tischen. Das Podium hat eine prächtige Hintergrundkulisse mit silbernen und goldenen Sternen gebildet, das Beste aber war der lange Tisch mit all den Kristallpyramiden für die Gewinner. Schon bei deren Anblick habe ich vor Aufregung gezittert.
Ich bin ehrgeizig, aber nicht mehr bloß für mich selbst, es geht um die Firma. Seitdem Simon mir einige Anteile übertragen hat, habe ich das Bedürfnis, mich zu beweisen, und ein Preis gäbe ihm bestimmt das Gefühl, dass das Vertrauen, das er in mich gesetzt hat, auch gerechtfertigt ist.
Als wir uns an unseren Tisch gesetzt hatten, wurde mir klar, dass ich bestimmt nicht mit allen würde reden können. Einige der VIP-Gäste, die Simon eingeladen hatte, konnte ich überhaupt nicht sehen, wegen der hohen Kerzen und einer Unmenge Champagnerflaschen in Eiskübeln, doch später erhaschte ich einen Blick auf den Mann mir gegenüber. Er hat irgendwie vertraut ausgesehen, und sehr interessant! Er musste so um die vierzig sein und hatte dichtes, dunkles Haar, perfekt gestylt wie der Rest von ihm. Sämtliche Männer trugen Smoking, seiner aber sah irgendwie besser aus – schwärzer, eleganter. Seine Augenfarbe konnte ich nicht ausmachen, hätte aber gewettet, es war dunkelblau. Und er hat mich beobachtet! Er hat sein Champagnerglas eine ganz kleine Idee höher gehoben und mir schweigend zugeprostet, ganz dezent. Es war so … charmant ! Ein anderes Wort fällt mir nicht ein (außer sexy vielleicht!). Allerdings hatte ich keine Zeit, auf seinen kleinen Flirt zu reagieren, denn schon ertönte lauter Trommelwirbel, und über den Lautsprecher kam die Stimme des Conférenciers.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren. Bitte setzen Sie sich. Die Zeremonie wird gleich beginnen.«
Man konnte die aufgeregte Vorfreude regelrecht spüren. Jetzt weiß ich, wie die Leute sich bei den Oscars fühlen. Ich hab mich zurückgelehnt und versucht, möglichst nonchalant zu wirken, während mein Herz die ganze Zeit so heftig gepocht hat, dass ich gedacht habe, es würde mir jeden Moment aus der Brust springen!
Und genau wie bei den Oscars haben sie einen Ausschnitt aus jedem Film gezeigt, der es in die Endauswahl geschafft hatte. In meinem ging es um häusliche Gewalt. Nicht unbedingt körperliche Gewalt, eher die kontrollierende, herabwürdigende Art von Gewalt. Also ehrlich, was sich hinter geschlossenen Türen alles abspielt! Bei dem gezeigten Ausschnitt handelte es sich um eine der dramatischsten Szenen, die wir eingebaut hatten. Der Typ, der den gewalttätigen Ehemann spielte, brachte genau das richtige Gefühl von Bedrohung rüber, ohne dass er seine Frau auch nur anfasste. Wir mussten noch die Ausschnitte aus den anderen Nominierungen in meiner Kategorie über uns ergehen lassen, aber dann kam der
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