Hintergangen
eine Spur von menschlichem Leben. Trotzdem suchte sie die Landschaft ab, versuchte mit angestrengtem Blick die dichten, hohen Heckenreihen zu durchdringen, dabei betete sie darum und fürchtete gleichzeitig, die doppelten Scheinwerfer eines Autos in der Ferne zu sehen, die sich den Weg zu ihr bahnten.
Es war einige Tage her, seit er hier gewesen war, so lange war er vorher noch nie weggeblieben. Sie wusste, dass er wütend auf sie war, aber vielleicht – nur vielleicht – konnte sie die Dinge zurechtrücken, wenn er kam. Vielleicht war sie zu vorschnell gewesen, möglicherweise hatte sie zu viel erwartet.
Als sie nichts sah, schob sie das vage Gefühl von Erleichterung beiseite. Sie wusste, dass es schon bald schleichender Furcht Platz machen würde. Es war kalt im Raum, und sie merkte, dass sie in ihren dünnen Sachen fröstelte. Sie nahm einen winzigen Schluck Wasser und schob sich unter die dünne Bettdecke, in die sie sich fest einwickelte. Um die eisige Zugluft zu verdrängen, vergrub sie ihren Kopf darunter, damit die warme Atemluft ihrem zitternden Körper ein wenig Behaglichkeit verschaffte.
5. Kapitel
D as Feuer knisterte im Kamin, die Scheite waren angegangen und brannten gut. Es ließ den trostlosen Raum trotzdem nur wenig anheimelnder erscheinen.
Laura schaute zu Imogen hinüber, die sich an Hugos verwirrend vielfältiger Sammlung von Brandyflaschen zu schaffen machte. Sobald die Polizei gegangen war, hatten sie angefangen zu streiten. Kurz, aber heftig, bis Laura vollkommen erschöpft war. Sie hatte sämtliche Gefühlsregungen durchlaufen und die Auseinandersetzung schließlich dadurch beendet, dass sie auf die untere Toilette gerannt war, um sich zu übergeben. Intensiver Stress hatte oft diese Wirkung auf sie. Nun lag sie seitlich auf dem Sofa, den Kopf auf einen Berg Kissen gebettet, die Arme um den Bauch – mehr wegen des wohligen Gefühls, als um die Krämpfe zu stillen. Als sie sprach, waren ihre Worte nur schwer zu verstehen. Noch immer war sie wütend auf Imogen, doch inzwischen konnte sie nicht mehr schreien.
»Du hättest nicht herkommen sollen, Imogen. Das war eine ganz, ganz dumme Idee. Du hast einfach nicht nachgedacht!«
»Du hast deine Gefühle bereits unmissverständlich mitgeteilt, danke. Ich glaube, ich hab’s kapiert.«
»Du solltest inzwischen schon unterwegs nach Kanada sein. Und warum um alles in der Welt musstest du denen erzählen, dass du meine Schwägerin bist?«
Imogen schien vollkommen ungerührt und antwortete mit knapper, nüchterner Stimme.
»Weil ich das war , bis alles den Bach runterging. Will wird es wahrscheinlich auch nicht passen, dass ich hier bin, aber das ist sein Problem. Sieh mal, Laura, was hätte ich denn machen sollen? Sobald ich gehört habe, dass Hugo tot ist, musste ich herkommen. Und nach allem, was du von mir verlangt hast, dachte ich mir, du bräuchtest vielleicht Unterstützung. Ganz schön blöd von mir.«
Verschwunden war der sanfte, süße, versöhnliche Ton, den sie angeschlagen hatte, um die Polizei zu beeindrucken. Laura seufzte.
»Ja, Imogen, ich weiß, was ich verlangt habe, und es war eine große Bitte, aber …«
»Eine große Bitte? So nennst du das also? Ich würde sagen, eine große Bitte ist, wenn man sich eine nagelneue Armani-Jacke ausleihen will oder wenn du mich um meine letzten zweitausend Pfund bittest. Nicht, dass du es nötig hättest. Aber deine große Bitte ging weit über die Richterskala hinaus, das weißt du genau.«
»Das habe ich dir doch alles erklärt. Und du hast gesagt, du verstehst es.«
»Aber jetzt ist es anders, oder?«
Imogen atmete tief aus, als wollte sie einen Berg von aufgestauter Spannung loslassen.
»Die nächsten paar Tage, womöglich Wochen werden bestimmt furchtbar. Du kannst Unterstützung gebrauchen. Wer weiß, was da alles aufgedeckt wird, und die Polizei wird unweigerlich wissen wollen, was mit dir los war und wieso du in der Irrenanstalt gelandet bist.«
Laura schwang sich zu einer aufrechten Sitzhaltung hoch. Nicht einmal Imogen durfte sich so eine Bemerkung erlauben.
»Du drückst dich wie immer reizend aus, Imo. Wir wissen beide sehr gut, warum ich dort war, aber was auch immer der Grund, es war nicht gerade ein Highlight in meinem Leben.«
Die Streitlust schien aus Imogen zu weichen, und Laura las Bedauern in ihren Augen. Das war das Problem mit Imogen. Erst den Mund aufmachen, und dann nachdenken. So war sie schon immer gewesen.
Imogen stellte Laura einen
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