Hintergangen
Augenblick der Wahrheit.
Der Conférencier trat wieder ans Mikrofon.
»Und der Gewinner ist … ›Es liegt alles in der Familie‹. Bitte begrüßen Sie mit mir auf der Bühne die Produzentin der Sendung, Laura Kennedy!«
An die folgende halbe Stunde kann ich mich nur noch verschwommen erinnern. Es regnete Glückwünsche, der Champagner floss in Strömen. Lauter lächelnde Gesichter, Gratulationen selbst von denen, die wir besiegt hatten (wenn auch bestimmt zähneknirschend). Doch ich hab die ganze Zeit gespürt, dass ich beobachtet wurde … und fand es wunderbar.
Für einen Augenblick konnte ich mich von unserer Gruppe losreißen, um mich bei den Preisrichtern zu bedanken. Doch da war eine Frau, die mich mit vollkommen versteinerter Miene ansah.
»Mir brauchen Sie nicht zu danken, Laura. Ich habe nicht für Sie gestimmt«, sagte sie.
Mit diesen Worten stand sie vom Tisch auf und ging davon. Es war die Journalistin Sophie Miller, selbst recht bekannt für ihre Reportagen über heikle Themen. Ich war deshalb etwas erschrocken. Um meine Verlegenheit zu überspielen, hab ich die anderen angelächelt und bin wieder an unseren Tisch gegangen.
Ich war ziemlich ernüchtert, fand aber, dass ich es gut kaschierte. Dann hörte ich hinter mir eine leise Stimme.
»Miss Kennedy?«, sagte er (wie förmlich!). »Hugo Fletcher. Meinen Glückwunsch zum wohlverdienten Preis. Ich war sehr beeindruckt von Ihrem Film heute Abend – jedenfalls von dem Teil, den ich gesehen habe. Ich würde mich gern etwas ausführlicher mit Ihnen darüber unterhalten und Ihnen von der Arbeit in meiner Stiftung erzählen. Heute Abend ist natürlich nicht der Ort dafür. Würden Sie gern einmal mit mir zu Mittag essen? Hier ist meine Karte. Denken Sie mal darüber nach, und rufen Sie mich an.«
Er machte eine leichte Verbeugung (ja, tatsächlich) und ging. Ich muss sagen, dass ich ihn ungern gehen sah. Bloß zu wissen, dass er da war und mich beobachtete, hatte mir einen extra Nervenkitzel verschafft.
Jedenfalls hab ich versucht, mich zusammenzunehmen, und wollte schon aufspringen, um zu tanzen, als ich diese schreckliche Sophie auf die Treppe zusteuern sah. Also habe ich mich zwischen den Tischen durch und hinter ihr hergeschlängelt. An der Garderobe habe ich sie eingeholt.
»Hallo«, habe ich sie freundlich angesprochen. »Wir hatten vorhin gar keine Gelegenheit, uns richtig zu unterhalten, ich hatte aber den Eindruck, dass Ihnen mein Film nicht gefallen hat. Es würde mich wirklich interessieren, womit Sie ein Problem hatten.«
Sie hat keine Miene verzogen und auch nicht im Geringsten verlegen gewirkt. Ihre Augen waren dunkel, sie lächelte nicht, und ihre Antwort fiel knapp und pointiert aus.
»Ihr Film war gut gemacht. Das Tempo stimmte, und die dramatischen Teile waren ordentlich gespielt. Allerdings war mir schnell klar, dass Sie nicht die geringste Ahnung von dem Thema haben. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen …?«
Damit ging sie, ohne sich noch mal umzudrehen, an mir vorbei und durch die Flügeltüren hinaus. Ich stand bloß da und sah ihr hinterher.
Ich weiß, wenn du das hier liest, ist dir das mit dem Preis ja bereits bekannt – tut mir leid, wenn ich dich langweile. Aber irgendwie passt alles zusammen, also war es wichtig, die ganze Atmosphäre des Abends und den Strudel meiner Gefühle einzufangen!
Wie vorherzusehen war, hat sich der nächste Tag als nicht geeignet für die Arbeit im Produktionsbüro entpuppt. Keiner war vor vier Uhr morgens ins Bett gekommen, und allen brummte der Kopf. Ich aber lächelte immer noch. Mir haben die Kopfschmerzen und die leichte Übelkeit nichts ausgemacht.
Ich bin mir nicht sicher, ob es am Kater lag oder nicht, doch ich sah ständig Bilder vom Vorabend vor mir aufblitzen. Blitz: ein Meer von Gesichtern, als ich vom Podium hinunterschaue, meine kostbare Kristallpyramide fest umklammert. Blitz: ein einzelnes Gesicht, das Gesicht eines Mannes, der mir ein heimliches Lächeln schenkt.
Komischerweise kam das zweite Bild viel häufiger vor als das erste.
Meine frühere Erfolgsbilanz bei Männern fiel ja nicht besonders aus, stimmt’s? Für dich war es immer anders mit Will. Aber ich hatte nie eine richtig ernsthafte Beziehung. Heutzutage will anscheinend jeder bloß unverbindlichen Sex. Manche Männer meinen, sie müssten einem bloß kurz im Pub ein Bier ausgeben, und schon geht’s ab in die Kiste. Ich weiß, es klingt zynisch, aber ich muss mit einem Mann, mit dem ich Sex haben
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