Hintergangen
anrufen. Überlass das nur mir, das mach ich gleich«, sagte Imogen mit nachdenklicher Miene.
»Ach, und kannst du auch schauen, ob der Anrufbeantworter eingeschaltet ist, Imo? Und …«
Imogen unterbrach sie. »Ja, Laura, keine Sorge. Ich weiß, was zu tun ist.«
»Und dann wegen Alexa. Ich muss wirklich alles tun, um ihr zu helfen, der armen Kleinen. Sie ist erst zwölf – und für zwölf auch noch nicht sehr weit. Das wird ein schrecklicher Schlag für sie sein. Ihre Mutter ist garantiert zu nichts zu gebrauchen. Ich weiß, sie ist seine Exfrau und ja schon fast moralisch verpflichtet, ihn zu hassen, aber dieses eine Mal wird sie doch sicher den Gefühlen ihrer Tochter den Vorrang vor ihren eigenen lassen.«
Laura merkte, dass sie bloß leer daherredete, und warf einen Blick zu Imogen hinüber, die sie seltsam, aber entschlossen ansah. Ihre nächsten Worte bestätigten, dass sie nur auf eine passende Pause in Lauras Litanei gewartet hatte, um sich einzuschalten.
»Bevor du abgeschweift bist, hast du gesagt: ›Du meinst, du verstehst es, in Wirklichkeit hast du nicht die leiseste Ahnung.‹ Das musst du mir bitte erklären.«
Laura erhob sich vom Sofa. Imogen beobachtete sie zu genau, das war ihr unangenehm. Sie trat an den Kamin und kauerte sich hin, um die Glut zu schüren. Sie hatte im Moment nicht die Energie, Imogen gegenüber ihre Bemerkung zu rechtfertigen. Die war aber noch nicht fertig.
»Ich bin nicht scheinheilig, Laura. Ich habe deinen Mann verachtet. Wenn da noch mehr passiert ist, wovon ich ›nicht die leiseste Ahnung‹ habe, dann muss ich das wissen. Ich verspreche dir, dass ich nicht lockerlasse, bis du es mir gesagt hast. Ich bin nicht hier als deine Feindin, Laura, sondern als deine Freundin.«
Laura versuchte Zeit zu gewinnen, indem sie weitere Scheite auflegte und jedes mit unnötiger Sorgfalt arrangierte. Ihr war klar, dass sie Imogen eine Erklärung schuldete. Sie hatte sie angelogen oder ihr zumindest bisher nicht die volle Wahrheit gesagt. Allerdings war inzwischen so viel passiert. Zu viel, als dass es sich an einem einzigen Abend erklären ließe.
»Ehrlich gesagt kann ich es dir nicht sagen, Imo. Ich weiß, heutzutage sollen wir uns alle bis zum Grund unserer Seelen offenbaren, aber ich halte nicht allzu viel davon. In der Klinik habe ich genügend Beispiele von Leuten gesehen, die immer und immer wieder die gleichen Probleme ausgekotzt haben, dabei wäre es besser gewesen, sie hätten sie einfach verdrängt und mit ihrem Leben weitergemacht. Du hast aber ein Recht darauf, es zu erfahren, das gestehe ich dir zu.«
Es entstand eine lange Pause. Laura kämpfte mit sich, und es war klar, dass Imogen ihr nicht helfen würde. Endlich entschied sich Laura, allerdings nicht so, wie sie beabsichtigt hatte.
»Ich habe dir Briefe geschrieben.«
»Was für Briefe? Von dir habe ich doch seit Jahren keinen Brief bekommen. Wovon redest du?«
»Ich habe sie nicht abgeschickt.«
Laura schwieg. Sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte.
»Das erste Mal habe ich dir ganz am Anfang eurer Beziehung geschrieben, da war ich eingeschnappt wegen dir und Will. Ich habe aufgeschrieben, wie mir zumute war – und dann habe ich es mir durchgelesen und war entsetzt über meine Selbstbezogenheit. Ich habe die Briefe danach zerrissen. Seitdem hat es in meinem Leben Zeiten gegeben, wo ich unbedingt wissen wollte, was du denkst, und andere, wo ich mir einfach über meine Gefühle klar werden oder einen Zwiespalt lösen wollte, also habe ich dir weiter Briefe geschrieben. Mehrere. Alles hat angefangen, als ich Hugo kennengelernt habe. Weil ich keinem von unserer Beziehung erzählen durfte, wollte ich jeden Augenblick einfangen, damit ich ihn mit dir nacherleben konnte, wenn die Zeit dafür gekommen war. Ich habe es gehasst, dass ich das alles nicht mit dir teilen konnte. Aber der richtige Zeitpunkt dafür kam nie. Als sich die Dinge dann änderten, schrieb ich dir wieder. Ich hatte mir fest vorgenommen, dich alles lesen zu lassen – aber mit der Zeit gab es immer mehr Dinge, die das verhindert haben. Und so wurde daraus fast eine Therapie. Ich hatte das Gefühl, als würde ich mit dir reden, ohne jedoch deine Reaktion über mich ergehen lassen zu müssen. Das ergibt jetzt so vielleicht keinen Sinn, wohl aber, wenn du sie liest.«
Laura holte tief Luft.
»Geh, Imogen. Geh und ruf Will an. Ich hole inzwischen die Briefe – sie sind gut versteckt. Am besten fängst du ganz am Anfang an – mit
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