Hintergangen
rechtzeitig im Büro an, um den Schluss eines Berichts zu hören, den zwei Beamte von der Operation Maxim hielten, jenem Team bei der Met, das sich mit Menschenhandel befasste. Er bekam einen Zettel überreicht, der die beiden als Inspector Cheryl Langley und DC Clive Horner auswies. Beim Anblick des Duos musste Tom schmunzeln: Sie war eine kleine, pummelige Frau mit einem breiten Lächeln, er groß und schlaksig mit einem langen, bekümmerten Gesicht. Soeben fasste Cheryl die Erkenntnisse über Sir Hugo zusammen.
»Er hat sicher Großartiges geleistet, unter sehr schwierigen Umständen. Wie Sie alle wissen, ist Menschenhandel ein gravierendes Problem. Wenn die Mädchen erst hier sind, merken sie, dass sie keine Möglichkeit haben zu fliehen. Man sagt ihnen, der einzige Weg ist, sich freizukaufen – aber bei den Banden, die ihnen etwa achtzig Prozent ihres Verdienstes wegnehmen, ist das unmöglich. Die verlangen für jedes Mädchen mehr als zwanzigtausend Pfund, manchmal bis zu vierzigtausend.«
Tom rechnete es aus: Selbst beim niedrigeren »Kaufpreis« musste die Allium-Stiftung mindestens zwei Millionen Pfund hingeblättert haben, um die Mädchen aus ihrem elenden Leben als unfreiwillige Prostituierte freizukaufen. Dazu kamen dann natürlich noch all die übrigen Kosten, die der Betrieb einer Stiftung mit sich brachte.
Auf Cheryls Nicken hin übernahm ihr Kollege, dessen hohe Stimme nicht recht zu seiner Erscheinung passen wollte.
»Sir Hugo hat mehr getan, als die Mädchen nur freizukaufen und für sie ein Zuhause zu finden. Die Stiftung verfügt über eine Reihe gut ausgestatteter Zentren und sogar einige sichere Unterkünfte. Die Mädchen, die nicht eingesperrt gewesen sind, konnten freiwillig kommen und um Hilfe bitten, obwohl sie es oft aus Angst vor den Zuhältern nicht riskiert haben. Die Stiftung hat auch einige Kampagnen ins Leben gerufen, die Männer davon abhalten sollten, sich überhaupt Prostituierte zu nehmen, obwohl niemand so richtig an den Erfolg geglaubt hat.«
Der Vortrag hatte überall im Büro Aufmerksamkeit erregt, und nun stellte eine der jüngsten Mitarbeiterinnen Clive eine Frage.
»Ich bin wahrscheinlich die Einzige im Büro, die es nicht weiß – aber wie kriegen die diese Mädchen aus den osteuropäischen Ländern eigentlich nach Großbritannien?«
Clives Selbstbewusstsein wuchs, er lehnte sich gegen die Tischkante und brachte sogar ein Lächeln zustande.
»Keine schlechte Frage. Man sollte meinen, es gäbe zahlreiche Punkte, an denen sie angehalten werden könnten. Allerdings wurde vor einigen Jahren zwischen vielen Ländern Europas das sogenannte Schengener Abkommen eingeführt. Seitdem sind die Grenzen zwischen den Mitgliedsländern offen, ohne dass man den Pass zeigen muss. Ohne Grenzkontrollen müssen die Mädchen bloß noch aus ihren Heimatländern herausgeschmuggelt werden, zur freien Durchreise durch Frankreich, Italien, Deutschland und andere Teile des Kontinents. Manche werden per Boot nach Italien geschmuggelt, andere auf dem Landweg. Von da braucht man sich dann nur noch um die Überfahrt nach England zu kümmern. Sosehr wir uns bemühen, unsere eigenen Grenzen dicht zu halten, in der Realität kann man unmöglich jeden Lastwagen durchsuchen, der ins Land kommt. Wir müssen uns auf eine Mischung aus guter Ermittlungsarbeit und Glück verlassen, um sie gleich bei der Ankunft aufzuspüren.«
So interessant das hier sein mochte, Tom hatte einen Mordfall zu lösen.
»Hatten diese Banden Ihrer Meinung nach ein Interesse daran, Hugo Fletcher umzubringen?«
»Offen gesagt, wir halten es für unwahrscheinlich«, antwortete Cheryl. »Es wurde schon viel über die Gefahren für ihn persönlich gesprochen, aber von den Banden gingen die eher nicht aus. Fassen Sie das jetzt bitte nicht falsch auf – sosehr wir seine Arbeit bewundern, ich glaube, der Risikofaktor war einfach gute Werbung. Er hat die Banden gut für die Mädchen bezahlt, hat sie freigekauft. Die Preise haben die festgelegt, er hat sich darauf eingelassen. Die sahen daher wahrscheinlich keinen Grund, ihn umzubringen. Sogar die Präventivkampagnen können von einigen Banden als Gratiswerbung genutzt werden. Wie heißt es doch so schön: Schlechte Werbung gibt es nicht.«
Die Antwort überraschte Tom, denn wie alle anderen war er auf den Trick hereingefallen und hatte geglaubt, Hugo hätte für diese Mädchen seine persönliche Sicherheit aufs Spiel gesetzt.
Er hätte gerne noch Zeit für die
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