Hinterher ist man immer tot: Roman (German Edition)
McEvoy?«
Das ist erstaunlich. Normalerweise werde ich von stinkreichen Menschen nicht erkannt, weil ich meine Mitgliedschaft im Country-Club nicht mehr erneuert habe, seit Enron pleiteging.
»Wer will das wissen?«, frage ich, da wir uns sowieso schon mitten in einem Noir-Film befinden.
Unaufgefordert zieht sich die Lady einen Stuhl heran und setzt sich mir gegenüber.
»Daniel«, sagt sie. »Ich glaube, ich bin deine Großmutter.«
Offensichtlich befinden wir uns in zwei verschiedenen Filmen.
Mary schenkt mir noch mehr Kaffee ein und unterstreicht ihren Hüftschwung mit einem kurzen Ausblick auf ihr Dekolleté, da sie als Profi weiß, dass statistisch gesehen allein die Anwesenheit einer weiteren weiblichen Person am Tisch ihr Trinkgeld um mindestens fünf Prozent senken wird.
Reiß dich zusammen, Soldat. Das Mädchen schenkt Kaffee ein, und du bist dreiundvierzig Jahre alt.
Ich kann nicht anders. Ständig lege ich Bedeutung in die Verhaltensweisen meiner Mitmenschen. Wahrscheinlich deshalb, weil es mir manchmal so vorkommt, als hätten alle um mich herum böse Absichten. Außerdem hat mir mein Therapeut Simon mal versichert: An Paranoia ist noch niemand gestorben, an mangelnder Paranoia schon …
Die ominöse Oma hat sich auf einen Stuhl mir gegenüber gepflanzt und ist jetzt dabei, ihr Handy auszuschalten, damit wir nicht gestört werden. Sie bestellt einen Grapefruitsaft bei Mary, ohne meine reizende Bedienung auch nur anzusehen, und legt anschließend mit ihrer Geschichte los.
»Ich besuche hier das Fitnessstudio. Das ist wirklich gut. Ich habe einen Trainer, der zu mir nach Hause kommt. Pablo ist fantastisch. Ich bin heute gelenkiger, als ich es mit zwanzig war.«
Das lasse ich so stehen, Pablos Methoden mögen wirklich effektiv sein, aber sie gehören noch zur Einleitung.
»Du siehst gut aus, Daniel. Gesund. Bist du verheiratet? Hast du Kinder?«
Ich schüttele einmal den Kopf als Antwort auf alle beiden Fragen.
»Ich auch nicht«, sagt sie. »Nicht so richtig. Nicht mehr.«
Drei kurze Sätze. Alle vollgepackt.
»Tut mir wirklich leid … äh … Oma, aber ich stehe heute unter Zeitdruck.«
Sie patscht sich selbst sachte auf die Wange, wirbelt eine zarte Puderwolke auf, obwohl ich hätte schwören können, dass sie gar keins aufgelegt hat.
»Oh Gott, wo hab ich bloß meine Manieren?«, sagt sie und streckt mir die Hand seltsam seitlich angewinkelt hin wie jemand von den Royals. »Ich bin Edit Vikander Costello.«
Sie spricht Edit so aus, dass es sich auf Michael Jacksons »Beat it« reimt.
Ich schüttele die Hand. Ehrlich gesagt ist es weniger ein Schütteln als ein Schwingen, aber ich spüre Kraft unter der zarten trockenen Haut.
»Costello«, sage ich. »Bist du mit dem alten Paddy verheiratet?«
»Ehefrau Nummer vier«, sagt sie. »Die erste, die ihn überlebt hat.«
Das ist durchaus eine Leistung. Paddy Costello schien mir immer aus Granit gemeißelt.
»Dann bist du also genetisch gesehen gar nicht meine Großmutter?«
»Nein. Ich bin das Nachfolgemodell. Version Vierpunktnull.«
»Und woher weißt du von mir, Edit? Wie hast du mich erkannt?«
»Ich habe dich gesucht, Daniel. Seit sechs Monaten habe ich irische Detektive auf deine Spur angesetzt. Und jetzt tauchst du hier auf, zwei Straßenecken entfernt von meinem Apartment am Central Park South.«
»Warum suchst du mich denn? Hat mir der alte Paddy etwas vermacht?«
Edit guckt verlegen und faltet an ihrer Serviette herum. »Nein. Du wurdest enterbt, zusammen mit deiner Mutter. Ich suche dich, weil Evelyn verschwunden ist, meine einzige Verwandte, die mir noch geblieben ist.«
Evelyn Costello. Allein der Klang ihres Namens versetzt mich ins Dublin der siebziger Jahre zurück. Die kleine Schwester meiner Mutter, das Mädchen, das trotz des Verbots ihres Vaters den Atlantik überquert und uns besucht hat. Das Mädchen, das meinem Dad versichert hat, sie würde seine Nudel auf einen Eispickel spießen, sollte er sich je wieder in der Zimmertür irren .
Das war wahnsinnig cool. Wir hatten gar keinen Eispickel. Ich kannte niemanden, der einen hatte.
Evelyn Costello. Meine erste Heldin. Wochenlang habe ich jeden Penny gespart, nur damit wir auf jeden Fall einen Eispickel im Haus haben, wenn sie noch mal zu Besuch kommt.
Meine Tante Evelyn, die immer mit mir ins Schwimmbad ging, außer einmal, als sie aus irgendeinem Frauengrund nicht konnte, den ich damals nicht verstand und über den ich auch heute nicht viel mehr
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