Hinterher ist man immer tot: Roman (German Edition)
Hafenmüll an Land torkele. Styropor und Plastikverpackungen, Spritzen und Limodosen, nach Jahren unter Wasser verzogene und gesplitterte Planken, dunkle Stränge aus Tang, Cornflakespackungen und Knochen, von denen ich hoffe, dass sie von Tieren stammen. Aber das Bizarrste ist ein Pferdekopf, der aus einem Plastikmüllsack lugt.
Ein Pferdekopf, der bei den Fischen schläft.
Bei Mafia Monopoly würde man dafür die doppelte Punktzahl bekommen.
Ich lege meine Hände auf die Knie und würge so viel Fluss wie möglich aus meinen Inneren heraus. Ich verstehe nicht, wie er da reingekommen ist, aber ich spucke einen guten halben Liter. Meine Glieder fühlen sich vergiftet und schwach an, meine Zunge trocken und schuppig.
Ein alter Obdachloser sitzt auf seinem Einkaufswagenkönigreich und raucht eine unglaublich dünne Zigarette. Er wirkt fröhlich, wahrscheinlich weil er endlich mal die eigene Situation mit der eines anderen vergleichen kann, ohne sich dabei scheiße zu fühlen.
»Morgen, mein Sohn«, sagt er. Seine Stimme klingt nach einem Bären, der Rhetorikkurse in Texas besucht hat.
»Morgen«, erwidere ich, schließlich hat er ja keine Schuld an dem ganzen Mist.
Er nickt Richtung Fluss. »New Yorker Taxifahrer, hm?«
Das entlockt mir ein Lächeln, was ich nicht für möglich gehalten hätte, also schenke ich ihm zwanzig triefnasse Dollar.
Als ich das Ufer hinaufschwanke, dem heller werdenden Tag entgegen, drehe ich mich noch einmal um und werfe einen Blick auf die Stelle, die Freckles’ Grab ist, und könnte schwören, das Taxischild pissgelb in der Tiefe leuchten zu sehen.
Ich finde Shea ziemlich schnell, wobei gesagt werden muss, dass er mir aus Versehen orientierungslos entgegentorkelt. Wir treffen uns auf dem Seitenstreifen der Schnellstraße, zwei Menschen, die ihre Emotionen keineswegs unter Kontrolle haben, weshalb ein vernünftiges Gespräch wohl sowieso unmöglich ist. Er sieht schrecklich aus, blutüberströmt und voller Schürfwunden, die er sich zugezogen haben muss, als er mit dem Gesicht zuerst auf den Asphalt knallte. Der blöde Arsch weiß nämlich nicht mal, wie man sich abrollt. Der Fairness halber sollte aber erwähnt werden, dass ich kaum besser aussehen kann: mit einem Dildo verprügelt und in Schlamm gebadet.
Als Shea mich entdeckt, quietscht er wieder wie die quadratische Zeichentrickfigur und rennt zur Straße. Ich bin gottverdammt viel zu müde, um ihm hinterherzulaufen, also lasse ich den Kleinen ziehen. Leider rutscht er aus und rollt mir praktisch vor die Füße.
Die glückliche Wendung flößt mir neuen Mut ein, und ich spüre, wie mein Energiepegel steigt. Ich beuge mich herunter, packe ihn am Jackenaufschlag und zerre ihn auf die Zehenspitzen. Ich habe keine Ahnung, was aus meinem Mund kommen wird, aber ich fange trotzdem an zu reden.
»Siehst du den Pier da unten?«, sage ich.
Shea sieht brav hin, aber da sind mehrere. »Welchen Pier?«, fragt er voller Angst, keine Fragen stellen zu dürfen.
»Welcher verfluchte Pier? Der kaputte. Der eingefallene.«
»Ja, den sehe ich. Völlig hinüber, so ein Scheiß.«
»Ja, so ein Scheiß. Genau der, Shea-ster. Weißt du, warum der Pier eingestürzt ist?«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Weißt du warum?«
Shea heult jetzt, er ist nah am Wasser gebaut.
»Nein, tut mir leid, ich weiß es nicht. Ich schwör’s.«
Ich warte einen Augenblick und sage dann: »Pier Pressure.«
Er guckt mich verständnislos an, wozu er jedes Recht hat.
»Kapier … kapier ich nicht.«
»Pier Pressure«, wiederhole ich. »Ha ha haaaa.«
Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich manisch lache oder einfach nur ha ha ha haaaa sage. So oder so jage ich Shea eine Heidenangst ein, was gar nicht mehr nötig gewesen wäre, weil ich das ja schon im Taxi gemacht habe.
Ich hebe ihn ein Stück höher. »Scheiße, tut mir leid, der Witz galt einem Freund von mir; eigentlich wollte ich sagen: Wenn ich dich noch mal sehe, bringe ich dich um. Wenn mir jemand an den Kragen will, werde ich dir die Schuld daran geben, und dann suche ich dich. Hast du das verstanden?«
»Verstanden.«
»Gut, weil ich Freckles echt gerne mochte. Du kriegst es ja nicht mal hin, beim Essen den Mund zuzumachen.«
»Das kann ich ändern«, verspricht Shea, und ich weiß, dass er mir mindestens ein paar Monate lang keinen Ärger machen wird. Das sehe ich an seinem Blick. Ich stoße ihn zur Uferböschung, wo er die Arme um einen Betonpoller wickelt, als wär’s seine Amme, und seinen Fall
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