Hinterher ist man immer tot: Roman (German Edition)
meinem Blickfeld, und ich nehme das Veilchen zur Kenntnis, das ihm offenbar der Pornostar verpasst hat. Das blutige Loch in seiner Brust ist dagegen natürlich ungleich ernster. Ich ermahne mich, nicht hinzusehen, aber es ist schon zu spät. Der Anblick wurde sofort in die Galerie des Schreckens in meinem Gehirn aufgenommen.
Vielleicht sieht meine persönliche Hölle genau so aus: eine Diashow all der entsetzlichen Dinge, die ich gesehen oder getan habe.
Ich lebe noch.
Es ist wahr. Der Mann hat mich noch nicht getötet. Er könnte es, wenn er wollte, das steht außer Frage. Bevor jemand reagieren konnte, hat er drei tödliche Schüsse abgegeben. Das ist Schießen auf Wettkampfniveau.
Also warum lebe ich noch? Mir fällt dazu höchstens ein, dass mich der Mann nicht unbedingt tot sehen will.
Er war hinter Krieger und Fortz her und dachte wahrscheinlich, ich wollte sie warnen. Vielleicht lässt er mich hier liegen, damit Mike mich erschießt, wenn er zurückkommt.
Oh, warte mal.
Der Hund hat plötzlich aufgehört zu wimmern. Der Mann kommt.
Ich wünschte, ich könnte mich wehren. Wenigstens wie ein Profi abtreten, aber ich kann nichts machen, außer hier zu liegen. Wenn ich mich ganz besonders anstrenge, könnte ich vielleicht wild um mich schlagen, aber so möchte ich auch nicht sterben. Das hätte etwas sehr Albernes, und wer will schon albern aus dem Leben scheiden? Mir wird bewusst, dass ich niemanden gebeten habe, sich im Falle meines Todes um Sofia zu kümmen. Hoffentlich kümmert sich Zeb um sie und behält dabei seinen Schwanz bei sich.
Na klar. Zeb ist der König des Gutmenschentums. Er denkt an nichts anderes als an seine Mitmenschen.
Ich spüre, wie eine starke Hand meinen Rucksack runterdrückt. Dann wandert die Hand an meine Schulter, der Mann dreht mich auf den Rücken wie die letzte entscheidende Karte einer spannenden Pokerpartie. Ich sehe Blut von seiner behandschuhten Hand tropfen, und mir wird klar, dass er aufräumen will. Mich fertigzumachen ist für ihn keine größere Sache, als den Köter von seinem Leid zu erlösen.
Der Mann ist wie ein Ninja ausstaffiert, abgesehen von seinen Stiefeln, die aus Armeebeständen stammen, fast identisch mit meinen. Über seiner Schulter hängt ein Gewehr mit einem superlangen Schalldämpfer am Lauf, was erklärt, warum ich keine Schüsse gehört habe. Ich erkenne das Gewehr nicht, aber es sieht teuer aus, nur vom Feinsten. Manchmal kann man schon beim bloßen Hingucken erkennen, wie wertvoll etwas ist. Funktioniert natürlich nicht bei Wein. Da müsste man schon ein echt gewiefter Sommelier sein, um allein aufgrund der Farbe den Preis einer Flasche zu bestimmen.
Der Ninja-Scharfschütze zuckt mit der Schulter, so dass das Gewehr unter seinem Arm wippt, der Abzugsbügel landet in seiner Hand und der Schalldämpfer in meinem Gesicht.
Schön. Gekonnt.
Jetzt wäre Gelegenheit zu betteln, die Luft dazu hätte ich noch. Aber der Mann ist Profi. Genauso gut könnte ich mit Arnold, dem Terminator aus dem ersten Film, das Diskutieren anfangen. Da war er nämlich noch erbarmungslos und nicht einer von den Guten wie im zweiten.
Dann passiert etwas. Anscheinend erkennt mich der Mann. Er wirft den Kopf zurück, und ich sehe, wie seine Augen ein bisschen größer werden.
»Du?«, sagt er.
Ich bin es. Das lässt sich nicht leugnen. Auch wenn es hoffnungslos erscheint, so hoffe ich doch, dass es einmal in meinem Leben ganz gut ist, ich zu sein.
»Ja«, huste ich, wobei es eine beachtliche Leistung ist, gleichzeitig zu husten und zu sprechen. Ich hatte gar nicht vor zu husten, es kam einfach so raus.
»Scheißwichser«, sagt Ninja und schüttelt den Kopf. Er macht ein Geräusch, das wie drei schallgedämpfte Schüsse klingt, aber vielleicht lacht er auch.
Dann drückt er mir die Spitze des Schalldämpfers zwischen die Augen und droht mir mit seinem Handschuhfinger, Blut spritzt mir ins Gesicht, aber was er sagen will, ist klar.
Folge mir nicht.
Da muss er sich keine Sorgen machen. Ich werde ihm auf keinen Fall folgen. Wer auf mich schießt, soll sich schämen; sollte derselbe aber Gelegenheit bekommen, ein zweites Mal auf mich zu schießen, muss ich mich schämen, und in meinem Leben gibt’s schon genug, wofür ich mich schämen muss, das dürfen Sie mir glauben.
Während er zum vierten Mal überflüssigerweise den erhobenen Zeigefinger bewegt, rutscht ihm der Ärmel hoch, und ich kann ein Stück Haut zwischen Handschuh und Manschette erkennen. Zwei
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